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■ Ab heute können Bosnienflüchtlinge abgeschoben werdenHartherzige Haltung

Ab heute können bosnische Flüchtlinge abgeschoben werden. Zwar verband die Innenministerkonferenz (IK) diesen Beschluß mit der Prognose, daß vor dem nächsten Frühjahr kein „nennenswerter“ Teil der 320.000 Bosnienflüchtlinge mit der Abschiebung rechnen müsse. Doch „nennenswert“ ist ein interpretierbarer Begriff. Was nun tatsächlich passieren wird, darüber haben nicht einmal die Innenminister selbst den Überblick. Denn umgesetzt werden die Maßnahmen von kommunalen Behörden.

Seit dem IK-Beschluß erhielten bereits Hunderte von Flüchtlingen Bescheide über das Auslaufen ihrer Aufenthaltsduldung in den nächsten Wochen und Monaten, die Kürzung ihrer finanziellen Unterstützung oder die Verlegung in weniger attraktive Sammelbehausungen. Diese Maßnahmen und der IK-Beschluß haben Unruhe, mancherorts gar Panik unter den Flüchtlingen ausgelöst. Im besten Fall werden die zuständigen Gerichte jetzt mit Klagen auf Verlängerung der Aufenthaltsduldung eingedeckt, im schlimmeren Fall wird es zu Selbstmorden kommen. Und verantwortlich ist dafür der unselige, hartherzige Beschluß der 17 Innenminister.

Nicht verantworten müssen sie indes die Lage, durch die sie sich zu diesem Beschluß erst genötigt sahen. Diese Verantwortung liegt unter anderem bei der Bundesregierung. Hohe Beamte von Außenminister Kinkel haben den Dayton-Vertrag mit ausgehandelt. Kohl hat – gemeinsam mit Clinton, Chirac, Major und Tschernomyrdin – durch seine Unterschrift die politische Garantie für die Umsetzung des Vertrages abgegeben. Die Flüchtlinge haben darauf vertraut. Kohl und Kinkel sollten jetzt die Courage aufbringen, den Flüchtlingen und der deutschen Bevölkerung die Wahrheit zu sagen: Die in Dayton versprochene Möglichkeit in die Vorkriegswohnorte zurückzukehren wird es – wenn überhaupt – frühestens nach den nächsten Wahlen im Herbst 1998 geben. Das gilt zumindest für die 180.000 Muslime und Kroaten unter den Flüchtlingen aus jenen Regionen, die im Dayton-Abkommen der Serbischen Teilrepublik zugeschlagen wurden.

Deswegen müssen die Flüchtlinge zumindest solange in Deutschland bleiben, bis im Gebiet der muslimisch-kroatischen Föderation die Minen geräumt sind und die Infrastruktur repariert ist. Sonst droht den bosnischen Flüchtlingen ab Frühjahr eine Existenz in Notunterkünften, die – ähnlich wie im Fall der Palästinaflüchtlinge von 1947 – zur Dauerbleibe auf Jahre und Jahrzehnte würden. Andreas Zumach

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