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Harter Neuanfang in DeutschlandMut für die nächsten Schritte

Wer flieht, muss oft aus dem Nichts ein neues Leben aufbauen. Unsere Autorin lernte: in schwierigsten Zeiten lohnt es sich, immer wieder aufzustehen.

Tolo TV in Kabul im Jahr 2021, von den Taliban übernommen. Unsere Autorin berichtet aus dem Exil für die Frauen in Afghanistan Foto: Adrien Vautier/Le Pictorium/imago

A ls ich 2016 mit drei Kindern nach Deutschland kam, war ich erschöpft, verängstigt und voller Sorge. Die Grenzen waren geschlossen, Flüchtlinge kaum noch willkommen. Der Weg war lang, gefährlich und voller Unsicherheit.

Wir schliefen unterwegs auf engstem Raum, durchquerten mehrere Länder und mussten ständig wachsam sein, um Gewalt oder Ablehnung zu entgehen. Aber ich musste weitergehen – für meine Kinder, für ihre Sicherheit und für die Chance auf ein neues Leben.

Im Flüchtlingsheim teilten wir ein Zimmer mit drei weiteren Familien. Lärm, Enge und Unruhe prägten den Alltag dort. Jeder Tag hier war eine Herausforderung – aber kleine Fortschritte im Alltag gaben ihr die Kraft, weiterzumachen.

Denn als ich selbst in Afghanistan ein Kind war, war der Schulbesuch für mich verboten. Täglich hoffte ich auf die Öffnung der Schulen – vergeblich. Mit 17 Jahren wurde ich zur Ehe gezwungen. Ich war schwanger mit dem dritten Kind, als mein Mann getötet wurde. Ich zog zurück zu meinen Eltern. Ich hatte den Wunsch, die Stimmen derer hörbar zu machen, die sonst niemand hört.

Illustration: Bassel Zoughip
Kolumne ankommen

In der Kolumne ankommen schreiben im zweiwöchentlichen Rhythmus Journalist:innen, die 2015 nach Deutschland geflüchtet sind, zum 10. Jahrestag des „Summer of Migration“. Begleitend zu den Kolumnen gibt es außerdem die Podcastreihe „Geschafft?! Zehn Jahre nach der Ankunft“ zu hören, die im Rahmen der Freie Rede Podcasts der taz Panter Stiftung erscheint.

Journalismus studieren in Kabul

Ich schrieb mich an der Journalistenschule der Universität Kabul ein und begann, bei Tolo TV und Tolo News zu arbeiten. Trotz ständiger Bedrohungen durch die Taliban und Widerständen der konservativen Gesellschaft Afghanistans setzte ich meine Arbeit fort.

Im Januar 2016 aber änderte sich alles: Ein Anschlag auf das Auto meiner Kollegen tötete sieben von ihnen und verletzte über zwanzig weitere. Danach konnte ich nicht mehr arbeiten – und entschied mich, mit meinen Kindern zu fliehen.

Bild: privat
Shakila Ebrahimkhil

War eine der ersten Frauen, die nach der ersten Ära der Taliban an der Kabuler Universität Journalismus studierten. Nach ihrem Studium arbeitete sie für den größten afghanischen Privatsender TOLO News. 2016 floh sie nach Deutschland.

Das Leben in der Migration war alles andere als leicht. In Deutschland begann ich mit einem Sprachkurs. Meine Kinder waren da 13, 14 und 15 Jahre alt. Nach einigen Monaten Schulbesuch für die Kinder und Deutschkursen für mich selbst konnte ich langsam Fuß fassen. Die fremde Umgebung, die Sprache, die bürokratischen Hürden – all das war eine tägliche Herausforderung, die viel Kraft kostete.

Eine deutsche Lehrerin unterstützte mich beim Deutschlernen und informierte mich über ein Sprachprogramm an der TU Darmstadt für Menschen mit Fluchthintergrund – ein Lichtblick in einer schwierigen Zeit. Nach einem Jahr erhielt ich zunächst ein befristetes Aufenthaltsrecht, schließlich wurde mein Antrag auf Asyl wegen politischer Verfolgung anerkannt. Diese Stabilität ermöglichte es mir, wieder nach vorne zu blicken und den Mut für den nächsten Schritt zu sammeln.

Wer will, der kann

Bei der Deutschen Welle bewarb ich mich für ein Praktikum. Die Entfernung Darmstadt–Bonn war eine Herausforderung. Ein freundliches deutsches Ehepaar unterstützte mich.

Das Praktikum dauerte zunächst drei Monate, wurde dann verlängert – von August 2018 bis Dezember 2019. Jeden Tag pendelte ich mehrere Stunden hin und zurück, lernte neue Abläufe, traf Kollegen aus unterschiedlichen Kulturen und meisterte die Balance zwischen Beruf und Familie. Am Ende erhielt ich einen Arbeitsvertrag und begann, im Afghanistan-Programm der Deutschen Welle zu arbeiten.

Bis heute bin ich so in Deutschland als Journalistin tätig. Meine Kinder sind sicher, in meinem Beruf konnte ich weitermachen, meine Stimme wird gehört.

Und nach der erneuten Machtübernahme der Taliban wurde ich so auch zu einer Stimme der Mädchen und Frauen, denen der Schulbesuch verwehrt bleibt. Ich kämpfe weiter dafür, dass ihre Geschichten gehört werden. Ich habe gelernt: Hinter jeder Dunkelheit gibt es Licht. Für mich gilt: Wer will, der kann. Man kann wieder aufstehen, neu beginnen und für das kämpfen, was richtig ist – selbst in den schwierigsten Zeiten.

Ein Projekt der taz Panter Stiftung.

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