"Harter Arsch" - Jugendkultur aus Angola: Schwarzes Gold und Präsident Benzin
Angola erholt sich allmählich von 40 Jahren Bürgerkrieg. Kuduro heißt der Soundtrack der Renaissance. Am 3.12. fand in Berlin die erste Session mit den Stars der Szene statt.
Coréon Dú lacht seinen Musikerkollegen Principe Ouro Negro an: "Wir sind beide Angolaner, aber teilweise verstehe ich gar nichts von dem, was er sagt." Principe Ouro Negro spricht nicht nur rasend schnell, er vermischt das gemeinsame Portugiesisch mit angolanischen Dialekten zu neuen Wortkreationen.
"Gib mal ein Beispiel!", fordert ihn Coréon Dú auf. "Kreation ist ein langer Prozess", entgegnet Principe schlagfertig und schrillt darauf ein hochfrequentes "Iiiiiii", das das Zeug dazu hätte, seine überdimensionale Sonnenbrille zersplittern zu lassen. Dann hüpft er fröhlich in Richtung Bühne. Principe Ouro Negro ist einer von 38 MusikerInnen und TänzerInnen aus Angola, die nach Berlin gereist sind, um das Publikum in den Kuduro einzuweihen.
Kuduro wurde in den Slums der angolanischen Hauptstadt Luanda geboren. Mitte der 1990er Jahre soll ihn der Sänger Tony Amado erfunden haben, indem er den House-Hit "I Like To Move It" mit Semba, dem angolanischen Vorfahren des brasilianischen Samba, und afrikanischen Kimboza- und Zouk-Rhythmen zu einem hypnotisch zuckendem Afro-Techno vermischte.
Der dazu passende Tanz geht auch auf Amado zurück. In Interviews auf Youtube erzählt er: "In dem Actionfilm ,Kickboxer' gibt es eine Szene, in der Jean-Claude Van Damme im betrunkenen Zustand tanzt. Dabei presst er den Hintern so komisch zusammen - ich habe seinen Stil einfach übernommen, die Kadenz beschleunigt, und so ist der Tanz entstanden."
"Harter Arsch" van Damme sei Dank
Auch auf der Bühne im Berliner Arena Club werden die Pobacken frenetisch zusammengepresst. Kuduro heißt ja auch wortwörtlich "harter Arsch". Die Tänzerinnen um die Sängerin Própria Lixa führen zusätzlich einen perfekten Spagat nach dem anderen aus - Van Damme sei Dank. Aber alles andere als steif sieht das Ganze aus, eher hyperdynamisch und unendlich frivol.
Obwohl Kuduro in den letzten Jahren weit über die angolanischen Grenzen populär geworden ist, genießt er zu Hause paradoxerweise immer noch keinen besonders guten Ruf. Weniger wegen der sexuell geladenen Performances, sondern vielmehr weil er von der Straße kommt.
Der heute gefeierte Sänger Bruno M landete Anfang der nuller Jahre im Gefängnis und lernte erst dort andere "Kuduristos" kennen. Nach seiner Entlassung ergänzte der Rapper seine Musik mit den erlernten Kuduro-Stilelementen. "Mit Kuduro kann ich viel mehr Leute erreichen und sie vor den Gefahren von Gruppenzwang warnen." Als "soziale Intervention" beschreibt Bruno M seinen musikalischen Beitrag. Er hält sich fern von jeglichen politischen Diskursen, wie übrigens die gesamten Kuduro-KünstlerInnen, die nach Berlin gekommen sind.
Selbst die Namen des Duos Principe Ouro Negro (Prinz Schwarzes Gold) und Presidente Gasolina (Präsident Benzin) sind - anders als erwartet - keinerlei kritische Referenz an die unfaire Verteilung von Angolas Bodenschätzen. Die beiden Exzentriker wurden einfach nur von Freunden so getauft, als ihre Popularität parallel mit den Erdölpreisen rasch nach oben schnellte. "Die Welt ist so düster", sagt Gasolina. "Wir wollen Spaß, Freundschaft und Frieden für alle."
40 Jahre Bürgerkrieg ermüden
Kuduro-Rapper Big Nelo, der mit seinen 36 Jahren und einer langen Musikerkarriere als Papa der Szene gilt, widerspricht ihnen nicht: "Der Bürgerkrieg hat uns müde gemacht." 40 Jahre hat er gedauert, raubte über 500.000 Menschen das Leben. Erst 2002 kehrte Frieden ein. "Das Land braucht dringend Vorbilder, die die Jugend zum positiven Denken aufmuntern und ihnen Selbstbewusstsein verleihen", sagt Big Nelo. Als genuin angolanisches Produkt könne der Kuduro dazu beitragen.
Das ganze Spektakel wird jedoch spätestens dann unheimlich, wenn man bemerkt, dass der Musiker und Produzent Coréon Dú, der die Kuduro-Sessions in die Welt gerufen hat, niemand anderes ist als der Sohn von Angolas Präsidenten José Eduardo dos Santos. Sein Vater sitzt seit 1979 im Amt und soll milliardenschwere Konten in Europa besitzen. Proteste im letzten September ließ er mit Gewalt niederschlagen.
Wenn man sich bei Coréon Dú erkundigt, wie der Vater über sein Engagement als Musiker urteilt, umgeht er die Frage stoisch: "In allen AngolanerInnen steckt ein wenig Kuduro!" Am Sonntag in Berlin ist tatsächlich sogar der Botschafter Angolas mit von der Partie. Bis in die frühen Morgenstunden sitzt er am Rande der Bühne und beobachtet mit großem Ernst das fröhliche Spektakel. Es ist viel zu laut, um sich zu unterhalten, also hebt er zur Kommunikation den Daumen: nach oben.
Auch Principe Ouro Negro ist mit seiner Performance sichtlich zufrieden. Er hat ein Mädchen aus dem Publikum auf den Mund geküsst. "Kuduro muss die Welt mit seiner Energie anstecken!", schreit er los.
Die Dolmetscherin ist von seinem Redefluss nun aber auch überfordert und so bleibt es ein Rätsel, ob Principe sich gerade die Ausstrahlung seiner Videoclips im deutschen Fernsehen wünscht, oder an den Fernsehturm projiziert sehen möchte. Egal. Der Weg bis ganz nach oben sei ihm gewährt.
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