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Hart und modern

■ Abbado dirigierte Mahlers Sechste

Die drei Hammerschläge, die den hitzig-überdrehten Finalwirbel von Mahlers Sechster torpedieren, haben es in sich: Sein eigenes Schicksal habe ihr geliebter Gustav damit prophezeien wollen, schrieb des Meisters Gattin Alma in ihren Erinnerungen. Denn drei Schicksalsschläge seien es auch gewesen, die Mahler in seinen letzten Jahren erlitten habe.

Ein Hauptverdienst der Interpretation, die Claudio Abbado und seine Berliner Philharmoniker am Mittwochabend in der Musikhalle präsentierten, war es, daß dem Werk derlei aufgepfropft romantisierende Tiefgründelei konsequent verweigert wurde. Abbados Mahler-Bild ist an der Moderne orientiert: Er vermeidet es, die burlesken und idyllischen Episoden, an denen diese Sinfonien so reich sind, wollüstig auszukosten und setzt stattdessen auf Strukturdeutlichkeit, klangliche Härten nicht scheuend. Wie eine auf Hochtouren arbeitende gigantische Maschinerie unter gleißendem Kunstlicht erschien das Berliner Orchester, vom brutalen Grundrhythmus unnachgiebig vorangetrieben. Selbst das schwelgerische Seitenthema des Kopfsatzes wurde mit nervöser Energie und grellen Blech-Akzenten aufgeladen. Bei aller Wucht und Lautstärke kam Mahlers Klangdramaturgie ungeschmälert zur Geltung: Für die Coda (“Wie wütend dreinfahren“) besaß Abbado noch genügend Reserven, auch das Fortissimo gegen Satzende hatte ausreichend befreiende Kraft.

Die Ausrichtung des sinfonischen Ganzen auf das monumentale halbstündige Finale hin bestimmte auch den Charakter der Binnensätze. Abbado hielt sie stets im Fluss und sammelte so einen enormen Energiedruck an. Selbst im langsamen Satz duldete er kein Verweilen im Augenblick, sondern unterlegte die Kantilenen von Anfang an mit einem behutsam drängenden Grundpuls. Wie ein danse macabre erschien dann das Finale: Erst unter dem dritten Hammerschlag fiel die atemlos rotierende Orchestermaschinerie in sich zusammen, stockend, fast wie betäubt die Posaunencoda, alle Schockwirkung für den letzten großen Tuttischlag aufhebend.

Jörg Königsdorf

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