„Hart aber fair“ und #vonhier: Die Frage nach der Herkunft
Die ARD-Talkshow „Hart aber fair“ fragt, ob Heimat nur für die sei, „die von hier stammen“. Das löst auf Twitter eine kontroverse Debatte aus.
Dieser räume „genau jenen Leuten Platz ein, die Menschen wie mir in Abrede stellen, dass Deutschland meine Heimat ist. Dass sie es ist, darüber gibt es nichts zu diskutieren“, twitterte beispielsweise der Journalist Hasnain Kazim. Die Sprachwissenschaftlerin Lady Bitch Ray fragte, „wer hier genau adressiert wird als ‚Deutsche‘ und wer nicht“, und forderte „Antirassismus-Konzepte für Journalist*innen, jetzt!“. Die Politikerin Jutta Ditfurth fühlte sich sogar an die Neonazi-Parole „Deutschland den Deutschen“ erinnert. „Deutschland ist schon so lange ein Einwanderungsland, dass es bösartig ist, eine solche Frage ernsthaft so zu stellen“, schrieb sie.
Gemeinsam mit einem zeitgleich verbreiteten Ausschnitt aus der RTL-Sendung „Das Supertalent“, in der Juror Dieter Bohlen ein fünfjähriges Mädchen fünf Mal fragt, wo es herkomme, wurde so auf Twitter der Hashtag #vonhier ausgelöst. „Offenbar hat die kleine Melissa, so heißt das Mädchen, ihre Karriere als ‚Deutsch-Asiatin‘ noch nicht angetreten. Das Kind dachte bis zu dieser Begegnung doch tatsächlich, es sei aus Herne und von hier. Leider wird ihr im Laufe ihres Lebens wohl noch öfter klargemacht, dass das nicht so sei“, schreibt die Spiegel-Online-Kolumnistin Ferda Ataman über den „Supertalent“-Ausschnitt.
Empfohlener externer Inhalt
„Wir reden über Stämme, Herkünfte und Kulturen, als sei es das Natürlichste der Welt, Menschen in diese Schubladen zu stecken. Wir finden es überhaupt nicht völkisch, wegen äußerlichen Merkmalen auf eine ausländische Herkunft zu schließen, weil es nun mal interessant ist, danach zu fragen“, so Ataman weiter. Die Frage „Woher kommst du?“ sei eine „verbale Ausbürgerung“.
„Warum sind Sie braun?“
Ihre Kolumne teaserte sie auf Twitter mit einem selbst erlebten Dialog an: „Woher kommen Sie?“ „Aus Nürnberg.“ „Aber woher kommt der Name Ferda?“ „Der ist persisch.“ „Dann sind Sie iranisch-stämmig?“ „Nein, meine Eltern kommen aus der Türkei.“ „Schlimm, das mit Erdogan.“ Der Hashtag #vonhier war geboren, zahlreiche Tweets von anderen Nutzern aus Einwandererfamilien folgten und erhielten am Sonntag teilweise Tausende Likes.
Die Psychologin Santina Battaglia nannte solche Gespräche bereits im Jahr 1995 „Herkunftsdialoge“. Die Frage nach der Herkunft transportiere alleine dadurch, dass sie (in der Heimat) häufig gestellt wird, „Ausgrenzungsbotschaften, die zu der Erfahrung, ‚eigentlich‘ woandershin zu gehören, führen“. Dieser Herkunftsdialog kennzeichne sich auch dadurch, dass er mit einer korrekten Antwort (wie beim „Supertalent“ die Antwort „Herne“) nicht beendet sei, sondern weitere Fragen nach der „eigentlichen“ oder „richtigen“ Herkunft gestellt werden, bis die Herkunft der Eltern oder Großeltern preisgegeben werde.
Empfohlener externer Inhalt
Dahinter steht offenbar oft die Annahme, dass Nicht-Weiße nicht Deutsch sein könnten. Dies kann sich auch durch die verwunderte Feststellung, dass die angesprochene Person „gut Deutsch sprechen kann“, ausdrücken. In einem Sketch des Internetsenders BBC Three wird dies auf die Spitze getrieben: Nach zahlreichen Fragen in einem Vorstellungsgespräch, woher die Bewerberin komme, fragt der Arbeitgeber schließlich: „Warum sind Sie braun?“
#vonhier im Bundestag
Neben viel Zustimmung zum Hashtag #vonhier und den geteilten Erfahrungen kritisierten viele Nutzer, dass die Herkunftsdialoge von anderen als rassistisch bezeichnet werden und die Möglichkeit eines ernsthaften Interesses ausgeschlossen werde. „Neugier ist menschlich, muss nicht immer böse gemeint sein. In Istanbul, Ankara oder Izmir wird man auch IMMER nach ‚memleket‘, nach echter Heimat, gefragt“, schrieb der WDR-Journalist Tuncay Özdamar.
Und weiter: „Unglaublich, wie viele Leute mit Migrationshintergrund hier ganz menschliche Dialoge unter Alltagsrassismus verkaufen wollen.“ Die Publizistin Düzen Tekkal postete einen Herkunftsdialog und schrieb danach: „Und trotzdem mache ich mir nicht ins Hemd deswegen, oder fühle mich weniger deutsch oder gar diskriminiert. Sowas #vonhier“.
Auch Politiker griffen die Debatte auf. Der Grünen-Parlamentarier Özcan Mutlu berichtete von einer Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft im Bundestag. Ein CDU-Kollege habe vom Redepult „Herr Mutlu, Sie und Ihr Präsident Erdogan“ gesagt. „Meine Fraktion ist fassungslos und protestiert. Wenn nicht mal ein MdB kapiert, dass ich #vonhier bin, haben wir viel zu tun!“
Die nordrhein-westfälische Integrationsstaatssekretärin Serap Güler (CDU) kritisierte, dass bei den Fragen nach der Herkunft Antworten wie „Köln“ oder „Herne“ nicht einfach akzeptiert werden würden. Die Frage „Woher kommst du?“ empfinde sie zwar nicht als rassistisch, sie finde es allerdings „suspekt, dass man so darauf pocht, sie stellen zu dürfen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen