piwik no script img

Hart, aber betroffen

Was ein Drücken im Magen, ein Volk von Schissern und ein schlechter Umsatz alles miteinander zu tun haben: Die ersten beiden Tage der Bombardierung Afghanistans aus der Sicht eines Taxifahrers

von FELIX HERBST

Der Überbringer der Botschaft stieg am Friedrich-Wilhelm-Platz in den Wagen und roch nach Alkohol. Er sagte: „Ich will zum Mehringdamm. Kannst Du mal das Radio anmachen. Es geht los jetzt.“

Es war Sonntagabend, genau acht Uhr, und nach den ersten Worten des Nachrichtensprechers spürte ich für einen kurzen Moment, wie das ist, über eine Bombe zu fahren. Eine Bombe, die genau in dem Moment losgeht, wenn ein verabredetes Stichwort gefallen ist. Ich spürte ein dumpfes Drücken im Magen, als würde ich gleich platzen. Aber dann war der Moment vorbei, und alles war wie zuvor. Der Nachrichtensprecher sagte: „Wir schalten nun zu unserem Korrespondenten nach London“.

Ich machte das Radio aus und unterhielt mich mit meinem Fahrgast über die Engländer und ihre große Vergangenheit. Kurz darauf fuhr ich ein gut gelauntes Paar vom Flughafen Tempelhof zum Prenzlauer Berg. Sie hatten ein schönes Wochenende erlebt und scherzten miteinander. An der Friedrichstraße fuhren Polizeiautos auf und ab. „Das ist bestimmt wegen der Regierung“, sagte die Frau und reckte den Hals, um besser zu sehen. Sie wussten es noch nicht. „Das ist wahrscheinlich wegen dem Angriff der USA auf Afghanistan“, sagte ich.

Jetzt hatten sie für einen kurzen Moment das dumpfe Drücken im Magen. Dann zeigte der Mann der Frau ein lustiges Wahlkampfplakat der Grünen, und die beiden lachten wieder. Später am Abend stand ich an der Clayallee Ecke Saargemünder Straße, wo sich derzeit das amerikanische Konsulat befindet. Am Flughafen Tegel hatte es eine Bombendrohung gegeben. Polizisten stellten Absperrgitter auf. Es war windig, ein lauer Herbstabend, die Polizistenmänner scherzten mit den Polizistenfrauen. Ein sehr dickbäuchiger Polizist stand, umringt von drei anderen, an der Ecke und hielt einen großen Plan in der Hand. Sie debattierten. Der Wind zerrte an dem Plan. Weit und breit war sonst niemand zu sehen. Ich fühlte mich sicher.

Am nächsten Tag gab es überraschend wenig zu tun. Nur am Bahnhof Zoo war die Hölle los. Kein Mensch interessierte sich für den Krieg. Niemand sprach darüber, außer einem deutschen Unternehmer, der keine Angst hatte, das Flugzeug zu benutzen. Er hörte im Radio von Demonstrationen gegen den Krieg und regte sich auf. Ein „Volk von Schleimern und Schissern“ seien die Deutschen geworden, „undankbar“, „ohne Solidarität mit den Freunden, ohne Rückgrat, ohne Zusammenhalt“. Er konnte „die Berliner“ und die Welt nicht mehr verstehen. In seiner Verzweiflung wünschte er sich mehr Schill, mehr Einsatz für deutsche Interessen, mehr hartes Vorgehen gegen diese „scheinheiligen Kameraden, die nur Sozialhilfe abzocken und demonstrieren gehen, und das alles auf Kosten von Leuten, die arbeiten gehen, wie ich und Sie.“ Auf einmal fühlte ich mich betroffen. Ich dachte an meinen schlechten Umsatz.

So hing also alles zusammen. Grimmig grinsend wünschte er mir noch einen schönen Abend und gute Fahrt. Als es schon lange dunkel war, stand ich vor dem Schloß Charlottenburg, da hielt hinter mir ein 190er Mercedes mit Hamburger Kennzeichen. Ein dunkelhäutiger Mann in kurzärmeligem Hemd stieg aus, lächelte mich freundlich an und erzählte in akzentfreiem Deutsch, dass er sich nicht auskenne, dass ein Freund von ihm in einer Kneipe sitze, und er fragte, ob ich ihn da hinlotsen könne.

Ich sagte: Klar. Er wählte auf seinem Handy eine Nummer, sprach dann einige Sätze in arabischem Dialekt und gab mir das Handy. Der Wirt war dran. Die Kneipe war in Bohnsdorf, am anderen Ende der Stadt. Ich sagte zu dem freundlichen Mann, der aussah, als käme er gerade aus dem Urlaub, das würde 70 bis 80 Mark kosten. Er antwortete, das sei kein Problem, aber er müsse erst zum Bankautomaten, denn er habe nur Dollars bei sich. Kein Problem, sagte ich, und so fuhren wir los. Erst zum Bankautomaten, dann über die Stadtautobahn nach Schönefeld und weiter nach Bohnsdorf. Die Kneipe war eine ganz normale, lustige Dorfkneipe. Der ebenfalls dunkelhäutige Freund wartete schon auf der Straße. Die beiden umarmten sich lange und herzlich.

Ich schaute zu und freute mich. Dann gab mir der Mann mit dem kurzärmeligen Hemd das Geld. Er reichte mir die Hand und bedankte sich. So war es doch noch ein ertragreicher Tag geworden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen