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Hardcore aus der Blockflöte

■ „Attila & die Erbrechenden Rotkehlchen“ gaben im Bremer „Wehrschloß“ Punkrock frisch aus dem 17. Jahrhundert

Man stelle sich eine Kreuzung aus Bob Dylan, dem sendungsbewußten Alt-Punk Jello Biafra und einem bierseligen FC St. Pauli-Stehplatzabonnenten vor. Das ist für diejenigen kein Problem, die am Sonntag im Wehrschloß das Konzert des britischen Barden Attila the Stockbroker besuchten.

Weil aber niemand ungestraft nur mit der Wanderklampfe in der Hand die Wehrschloß-Bühne betritt, hat Attila jetzt im zarten Alter von 37 seine erste richtige Band gegründet, auf die er dementsprechend stolz ist. Nun gibt es alle Nase lang deutsche Bands, die sich durch englische Namen den Hauch des Internationalen ermogeln wollen, und auch vereinzelte englische Bands mit deutschem Namen kommen vor. Aber wie kommen fünf Engländer ausgerechnet auf „Die Erbrechenden Rotkehlchen“?

Ihre Musik drängte derlei brennende Fragen in den Hintergrund. Live aufs Quartett reduziert, präsentierten die Musiker zunächst ein paar Stücke „Punk-Rock aus dem 17. Jahrhundert“, wobei Frontmann Attila als virtuoser Blockflötist sich Respekt erspielte und gegen die energischen Gitarren und das treibende Schlagzeug gut behaupten konnte. So beeindruckend diese Instrumentals auch waren; wofür alle den dicken Charismatiker lieben, das sind seine simplen, oft naiv formulierten, aber immer wahren politischen Botschaften. Die wirkten im Band-Gewand tatsächlich eindringlicher als in den bisherigen spartanischen Ein-Mann-Versionen. So wurde die Antifa-Hymne „This is Free Europe“ zu zornigem Rock, „Lybian Students from Hell“ mutierte zum Pogo-Hit, „The Iron Men of Rap“, eine satirische Abrechnung mit phallokratischen HipHop- Klischees, geriet per „Smoke on the Water“-Riff zur köstlichen Crossover- Parodie. Und wer „Children of the Revolution“ von T. Rex noch nie in der „Erbrechende Rotkehlchen“-Fassung mit Attila the Stockbroker an der Geige gehört hat, kann dieses Stück gar nicht zu würdigen wissen.

Zwischen den Songs erzählte Attila in begeistertem Deutsch kleine Anekdoten, erläuterte die Lieder oder trug skurrile Gedichte über den Schlafsack des Sängers einer befreundeten Band vor, welcher nicht der hygienischste Ort auf Erden zu sein scheint. Dabei legte der Fußball-Fan eine so charmante Art an den Tag, daß man ihm sogar als Sportabstinenzler verzeihen konnte, wenn er sich lang und breit über den Abstieg seines Lieblingsvereins FC Brighton ausließ. Immerhin hatte er einen fetzigen Song darüber geschrieben.

Da die Band erst seit Oktober existiert, konnte sie nicht so viele Stücke einstudieren, wie die begeisterten BesucherInnen forderten. So wurde einfach das Schönste nochmal gespielt und der ausgelassene Abend endete mit dem Versprechen eines baldigen Wiedersehens. Es ist zu hoffen, daß dann ein größeres Publikum den Weg ins Wehrschloß findet. Andreas Neuenkirchen

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