Harald Welzer im Interview: „Der totale Rollback“

Das Klima wird der Sicherheit untergeordnet – Sprache und Mentalitäten militarisieren sich. Der totale Rollback, meint Harald Welzer.

Harald Welzer auf dem taz-Dach

Harald Welzer sieht den totalen Rollback: Eine rasante Militarisierung der Sprache und der Mentalitäten auf Kosten des Klimas Foto: Anja Weber

taz lab, 09.03.22 | Von MAREIKE BARMEYER

taz lab: Herr Welzer, das Thema des taz lab bleibt Klima und Klasse, aber wir müssen auch über den Krieg sprechen. Inwiefern beeinflusst dieser Krieg den Klimatransformationsprozess?

Harald Welzer: Der Krieg beeinflusst den Klimatransormationsprozess radikal. Und zwar, weil es einen totalen Rollback gibt in fast jeder Hinsicht. Man kann jetzt schon ablesen, dass das Klimathema nach hinten geordnet wird, hinter das Thema Sicherheit. Und man wird in nächster Zeit jede Form von Energie, die verfügbar ist, heranziehen, um den Ausfall der russischen Energieimporte zu kompensieren – Fracking-Produkte, Kohle, alles, was brennt.

Und welchen Einfluss hat der Krieg auf unsere Gesellschaft im Allgemeinen?

Was die innere Verfasstheit angeht, da staunen wir doch sehr stark, wie innerhalb von einer Woche eine Militarisierung der Sprache und womöglich auch der Mentalitäten funktioniert. Im Grunde ist all das, was passiert, das Gegenteil von dem, wofür unsereiner mal vor 30 oder 40 Jahren angetreten ist.

taz lab 2022 – Klima & Klasse, am 30. April 2022 ab 08.30 Uhr live im Stream auf tazlab.de

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Hat Klasse im Klimatransformationsprozess eine Rolle gespielt, tut sie das noch und hat sich diese Rolle verändert?

Die Klassenfrage stellt sich in einem marxschen Sinn hier gar nicht. Aber immerhin spielt die soziale Frage im Kontext der Energiewende schon eine große Rolle. Die CSU ruft ja schon nach einer Spritpreisbremse, und die Pendlerpauschale wurde auch gleich erhöht.

Sehen Sie irgendwo eine positive Entwicklung?

Meine Katzen sind positiv gesonnen und erfreuen sich bester Gesundheit. Das ist das Positive, das ich im Moment sehen kann.

Wie geht denn weiter, wenn dieser Krieg aufhört? Ich tue mich, sicher wie viele, sehr schwer zu sehen, was danach kommt...

Niemand weiß genau, was danach kommt. Wir wissen nicht, wie lange der Krieg geht und dementsprechend wissen wir auch nicht, was der mögliche Zustand danach sein wird. Ob es einen Waffenstillstand gibt, ob es Friedensverhandlungen gibt, ob es eine Aufteilung der Ukraine gibt, ob der Krieg sich weiter entgrenzt. Das sind ja alles Dinge, die wir gegenwärtig nicht wissen und alle machen sie unterschiedliche Zukünfte. Also, keine Ahnung.

Was wünschen Sie sich denn?

Ich bin wunschlos unglücklich.

Harald Welzer spricht auf dem taz lab am 30. April 2022 zur „Theoriebedürftigkeit der gegenwärtigen Lage“.