Harald Christ, Sozialdemokrat und Multimillionär: "Meine Gier ist sehr gering ausgeprägt"
Mit Aktiengeschäften ist der Sohn eines Opel-Arbeiters sehr reich geworden. Nun will Harald Christ (37) der Gesellschaft etwas zurückgeben. Auch als Nachfolger von Finanzsenator Thilo Sarrazin war er zuletzt im Gespräch. Er allerdings hat andere Pläne.
HARALD CHRIST, 37, hat eine sehr steile Karriere hinter sich. Sein Vater war Arbeiter bei Opel, sein Mutter Hausfrau. Aufgewachsen ist er in Rheinland-Pfalz in dem Dorf Gimbsheim bei Worms. Dort ging er nach der Volksschule bei den Stadtwerken als Industriekaufmann in die Lehre. Schon mit 19 wechselte er zum Finanzdienstleister BHW, wo er schnell zum Vertriebsdirektor aufstieg. Mit 27 ging er zur Deutschen Bank, mit 30 nach Hamburg. Dort brachte er als Vorstandsvorsitzender die HCI Captial AG an die Börse. Nach seinem Ausstieg 2007 verkaufte er seine HCI-Anteile für geschätzt 80 Millionen Euro. Heute ist er Aufsichtsrat der Investmentgesellschaft Christ Capital AG in Berlin. Schon mit 16 trat er in die SPD ein. In Hamburg war er Landeschatzmeister seiner Partei und kurzzeitig als Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl 2008 im Gespräch.
taz: Herr Christ, was bedeuten für Sie 5 Euro?
Harald Christ: Das liegt immer im Auge des Betrachters. Für mich sind 5 Euro von Kindertagen her ein Betrag, mit dem man sich ordentlich was zu essen kaufen kann, nach wie vor. Wenn man keine 5 Euro hat, kann das verdammt viel Geld sein.
Kürzlich haben ganz viele Leute mit 5 Euro Lotto gespielt, weil es 35 Millionen Euro zu gewinnen gab. Sie haben einen anderen Weg gewählt.
Nee, ich habe auch getippt, weil ich mir natürlich den Jackpot nicht entgehen lassen wollte. In unregelmäßigen Abständen mache ich das. Für mich selbst und für Angehörige fülle ich Scheine aus und verschenke sie dann.
Könnten Sie jemandem das Geld nicht gleich aus Ihrer Schatulle schenken?
Ich mache in meinem Leben in der Familie und im Freundeskreis sehr viel und helfe auch sehr viel. Aber ich kann natürlich nicht die ganze Welt retten. Wichtig ist mir, dass jeder, der fragt, eine Antwort bekommt und ich mit jedem rede. Denn Freundschaften, Familie, sinnstiftende Dinge, um die man sich bemüht und wo man sich einbringt, die sind viel wichtiger. Man sollte sich nie in Geld verlieben. Geld kommt und geht.
Haben Sie durch die Wirtschaftskrise Geld verloren?
Ich habe noch nicht gezählt, wie viel. Für jemanden, der nicht unternehmerisch tätig ist, ist das schwer zu begreifen. Aber erst, wenn die Krise irgendwann vorbei ist, wird man wissen, was man verloren hat und was nicht.
An der Krise wird geldgierigen Spekulanten die Schuld gegeben. Sie haben kurz davor die Fondsgesellschaft HCI an die Börse gebracht und damit sehr viel Geld verdient. Was unterscheidet Sie von den geldgierigen Bankern?
Ich habe schon vor HCI gut Geld verdient, ich habe während HCI Geld verdient, ich habe mit HCI Geld verdient, ich habe nach HCI Geld verdient. Es war aber nie mein erstes Ziel, Geld zu verdienen, sondern das Unternehmen zu entwickeln. Wir haben von 70 Arbeitnehmern auf über 300 aufgebaut, waren einer der größten Schifffahrtsfinanzierer, haben Steuern bezahlt, uns sozial engagiert in Hamburg, Kinder in die Museen, Stifterlehrstühle, wir haben eine Menge für den Standort gemacht.
Trotzdem: Banker haben derzeit einen ganz schlechten Ruf.
Da sage ich Ihnen was ganz Ehrliches: Gier liegt in der Natur des Menschen. Die ist bei manchen sehr ausgeprägt, bei anderen weniger. Wer bei seinem Sportverein in die Mannschaftskasse greift, handelt genauso verwerflich wie derjenige, der ein Unternehmen ausplündert. Der Gier der Kapitalmärkte haben wir international keine Leitplanken gesetzt. Aber auch bei dem Taxifahrer, der nach einem Aktientipp fragt, steckt die Gier dahinter.
Wie steht es mit Ihrer persönlichen Gier?
Meine Gier?
Die Natur des Menschen!
Ich würde sagen, dass bei mir die Gier sehr gering ausgeprägt ist.
Was ist dann Ihr Motor?
Mich treibt an, etwas bewegen zu können. Auch als ich mit 16 in die SPD eingetreten bin, wollte ich etwas verändern. Ich wollte mich nicht damit abfinden, in einer nicht privilegierten Situation groß geworden zu sein. Volksschulabschluss, Lehre, Häuschen bauen und Familie, mehr sollte nicht gehen, weil ich eben so aufgewachsen bin, wie ich aufgewachsen bin. Und ich dachte, es muss mehr geben. Es muss möglich sein, durch Einsatz und durch Leistung mehr aus seinem Leben zu machen. Das ist der Punkt, wo ich politisch aktiv wurde, Schülersprecher wurde, angefangen habe, mich in der Gewerkschaft zu engagieren.
Etwas bewegen können - geht das eher in der Wirtschaft oder in der Politik?
In der Politik etwas zu bewegen ist sehr schwierig. Denn Sie sind ja nicht alleine. Es ist ein Umfeld von Kompromissen, die Sie eingehen müssen. Sie können sicher als Unternehmer mehr bewegen als in der Politik. Aber eben in der Begrenztheit des eigenen Aktionsgrades. In der Politik können Sie für das System, für die Menschen, für die Gesellschaft etwas bewegen.
Was könnte Berlin von Ihnen lernen?
In dieser Stadt gibt es sehr viel zu tun. Vieles wurde die letzten Jahre angestoßen. Was die Stadt braucht, ist die Fortsetzung der Konsolidierungspolitik, was die Finanzen angeht. Aber auch ein weiterentwickeltes Konzept, um Menschen in die Stadt zu bringen, um den Tourismus weiter nach vorne zu bringen, um Unternehmen für die Stadt zu begeistern. Wenn ich da einen Beitrag leisten kann, bringe ich mich gerne ein. Schließlich ist jeder aufgefordert, sich politisch zu engagieren.
Aber nicht jeder wird in Berlin als Nachfolger von Finanzsenator Thilo Sarrazin gehandelt.
Ich habe mich weder beworben, noch wurde ich gefragt. Dass ich gehandelt werde, das weiß ich. Aber ich stehe nicht zur Verfügung.
Warum nicht?
Thilo Sarrazin hat für Berlin einen hervorragenden Job gemacht. Was aus meiner Sicht die Stadt jetzt braucht, ist ein politisch erfahrener Nachfolger. Der Regierende Bürgermeister wird hier die richtige Entscheidung treffen. Ich selbst habe andere berufliche Pläne. In welche Richtung das gehen wird, werden wir die nächsten Monate sehen. Ich werde mich aber definitiv weiterhin politisch einbringen.
Dann bringen Sie sich mal ein: Viele Jugendliche haben keine Lehrstellen, die Schulen sind marode, die Lehrer sind schlecht bezahlt und wandern ab. Was kann man da machen?
Jetzt wollen Sie, dass ich als Nichtpolitiker die Probleme der Stadt löse?
Ja!
Das macht man, indem man eine dynamische und vorwärtsgerichtete Wirtschaftspolitik betreibt. Man muss Menschen, Unternehmen, Investoren für die Stadt begeistern, Start-ups, junge Talente fördern. Man muss einen sehr engen Dialog zwischen Politik und Wirtschaft organisieren. Da hat Berlin weiterhin Nachholbedarf.
In Berlin koaliert die SPD mit der Linkspartei …
Ich halte überhaupt nichts von diesem Schreckgespenst Rot-Rot. Man muss die Linkspartei von Region zu Region differenziert betrachten. Das Bild, das ich von ihr in Berlin habe, ist ein professionelles, geordnetes und wirklich etabliertes Bild.
Die Linke profiliert sich als Partei der sozial Schwachen.
Historisch ist aber die SPD die Partei des kleinen Mannes, der kleinen Frau, der Gewerkschaften, der Arbeitnehmer und - ich sag mal - der Schwächeren.
Und wie muss sie das aktuell umsetzen?
Selbstbewusster damit umgehen! Ich lass mir doch von einer Partei, die sich seit zwei Jahren links nennt, nicht die Butter vom Brot nehmen.
Was ist denn linke sozialdemokratische Politik heute?
Für mich ist zurzeit keine linke, sozialdemokratische Politik von den Konturen erkennbar. Die Menschen wissen zurzeit nicht, wo die SPD wirklich steht. Das ist natürlich auch ein bisschen aus der Agenda 2010 entstanden.
Ihr Vater war Opel-Arbeiter. Tut es Ihnen weh, wenn die Autobranche in die Krise rutscht?
Ja, natürlich. Auch weil die Krise hausgemacht ist. Fast meine ganze Familie hat bei Opel gearbeitet. Ich bin Opel-Kind. Opel hat mir, weil mein Vater da gearbeitet hat, mein Leben finanziert. Ich bin fast mein ganzes Leben Opel gefahren.
Jetzt fahren Sie einen Smart.
Das ist mit das praktischste Auto, das Sie in Berlin haben können. Aber ich überlege, ob ich den Opel, der gerade rausgekommen ist, kaufe.
Spielt die Abwrackprämie dabei eine Rolle?
Die hilft der Autoindustrie, aber ich würde die nicht nutzen. Das wäre mit meinem Vermögenshintergrund unanständig.
Halten Sie das Konjunkturprogramm der Bundesregierung für ausreichend?
Nein. Das ist ein Sammelsurium von parteiprogrammatischen Maßnahmen, wo sich jeder im Anbetracht des Wahlkampfs wiederfindet, das sich aber erst 2010 entfaltet.
Sie würden das besser machen?
Ich würde es anders machen. Ob es besser ist, merkt man ja erst später. Ich hätte zum Beispiel viel stärker überlegt, wie man den privaten Konsum stimuliert.
1.000 Euro für jeden Hartz-IV-Empfänger?
Ich hätte mit Konsumschecks gearbeitet. Aber zu jedem Euro vom Staat hätte man einen eigenen Euro hinzulegen müssen. Das können nur die, die Geld haben. Deshalb hätte ich bis zu einer gewissen Einkommensgruppe, etwa Hartz IV, mit einer einmaligen Sonderzahlung gearbeitet. So weit wäre ich gegangen.
Sie investieren in Afrika und behaupten, man könne damit gleichzeitig Gutes tun. Ginge das auch in Neukölln?
Ja, klar. Es gibt ein Unternehmen in Berlin mit 20 oder 30 Arbeitsplätzen und langer Tradition, das kurz vor der Insolvenz stand. Wir haben dafür gesorgt, dass die für zwölf Monate von der Bank eine Stillhaltevereinbarung bekommen haben, sodass die sich durch Teilverkäufe entschulden können und wieder eine Zukunft haben. Da habe ich keinen Euro dran verdient.
Haben Sie kein Interesse an Rendite?
Doch, aber ich will nicht auf Kosten anderer verdienen.
Woran machen Sie das fest?
Ich hatte oft Angebote, wo es hieß, da steigen Sie jetzt ein, wir setzen die ganzen Arbeitskräfte raus, dann entschulden wir die Banken und am Ende bleibt das und das übrig. So etwas mach ich nicht. Wenn ich aber das Ganze erhalten kann und damit sogar noch Geld verdiene, dann mach ich das. Wenn es, um das Ganze zu erhalten, notwendig ist, Kosten zu sparen ,und man genötigt wird, Kündigungen vorzunehmen, dann bin ich auch niemand, der sagt, da helfe ich nicht mit. Da greife ich auch eher hart ein. Aber man muss immer in den Spiegel gucken können und für sich sagen können, das war gut, das musste so sein. Daran können Sie mich messen.
Das hört sich alles so edel an: der gute Millionär. Können Sie sich vorstellen, dass Leute Ihnen das nicht abnehmen?
Ich bin nicht Mutter Teresa. Ich habe bestimmt Fehler gemacht. Aber dann soll man mich damit konfrontieren. Und wenn es richtig ist, dann gebe ich es auch zu. Mit Mitte 20 war ich viel mehr auf Fortkommen programmiert. Mich hat gerade wieder ein sehr großer Konzern gefragt, ob ich da in den Vorstand gehe. Aber ich möchte das nicht.
Warum nicht?
Ich will versuchen, mich einzubringen, etwas zu bewegen. Den Menschen deutlich machen, dass das Zusammenleben anders funktioniert als "die da oben und die da unten". Vielleicht scheitere ich damit, aber ich bin es meiner Herkunft einfach verdammt noch mal schuldig, wieder etwas zurückzugeben. Das ist meine moralische Verantwortung.
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