Hannover will Bibliotheken schließen: Von Angry Birds und Sparplänen
Wie haben Nicht-Leser bloß ihre Kindheit und Jugend überlebt? Mir ist das ein Rätsel. Ebenso, wie Hannover an falscher Stelle sparen will.
V ielleicht habe ich schon einmal erwähnt, dass ich ein annähernd fetischistisches Verhältnis zu bedrucktem Papier habe. Das ist nicht leicht für Menschen, die gezwungen sind, sich Räume mit mir zu teilen. Nicht-Leser sind mir ein Rätsel: Wie haben die bloß ihre Kindheit und Jugend überlebt? Wie machen die denn, dass ihnen neue Gedanken in den Kopf kommen? Ich werde das nie verstehen.
Zu meinen allerliebsten Kinderfotos gehört das Bild meines Erstgeborenen, wie er am Küchentisch sitzt, das circa dreijährige Patschehändchen an seiner Bärchentasse und hochkonzentriert auf das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung guckt. Eine entzückende Imitation meines Morgenrituals. Natürlich konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht lesen, aber aus irgendeinem Grund, den ich längst vergessen habe, bestand das Aufmacherbild aus mehreren Reihen von Angry Birds.
Natürlich habe ich diese Kinder frühzeitig in Bibliotheken geschleppt. Für mich sind Bibliotheken und Buchläden magische, heilige Orte, man darf mich dort jederzeit aussetzen, wenn die Zombie-Apokalypse kommt, wissen Sie, wo Sie mich finden.
Natürlich finde ich es skandalös bis unmöglich, wenn die Stadt Hannover jetzt gleich zwei Stadtteilbibliotheken einsparen will. Wobei mir allerdings auch mulmig wird: Der Protest dagegen scheint die übliche soziale Schlagseite zu haben. Am Lautesten ist er in der Südstadt – also jenem Stadtteil, wo die allermeisten Kinder üppig bestückte Bücherregale zu Hause haben und man leicht auf die Zentralstelle der Stadtbücherei im selben Stadtteil ausweichen könnte, wenn die kleine Stadtteilbücherei schließt. Online-Petition: 31.986 Unterschriften.
An der falschen Ecke gespart
Die Nordstadt gilt auch als irgendwie hip, vor allem in Uni-Nähe. Die Stadtteilbibliothek liegt allerdings eher an der Ecke, wo es so langsam vom Hippen ins Ranzige übergeht. Alternativen sind von hier aus schlechter erreichbar, der Stadtteil ist insgesamt strukturell ärmer. Online-Petition: 4.589 Unterschriften.
Und dann ist da noch diese Geschichte am Kronsberg. Der schaffte es vor fast zwei Jahren sogar in die „Tagesthemen“ mit seiner marodierenden Jugendbande. Alles ganz katastrophal, fand man damals und stellte fest: Es gibt zwar ein dutzend Spielplätze, aber kaum Angebote für Jugendliche. Das einzige Jugendcafé im Stadtteilzentrum hatte nur sporadisch geöffnet und soll jetzt vollständig eingespart werden. Eine Online-Petition, die dagegen protestiert, habe ich nicht gefunden.
Natürlich argumentiert die Stadt, sie würde ein neues, besseres Angebot im gerade entstehenden Stadtteil Kronsberg-Süd schaffen. Also irgendwann in den nächsten paar Jahren, nehme ich an. Ein Angebot, das dann natürlich auch Zeit braucht, um sich zu etablieren. Da können sich die Kinder, die jetzt in den Kindergarten gehen, schon einmal drauf freuen. Die coronageschädigten aktuellen Jahrgänge müssen halt sehen, wo sie bleiben.
Aber vielleicht kommt alles noch ganz anders. Immerhin gibt es auch in den verschiedenen Ratsfraktionen Widerstand gegen diese Sparpläne, man brütet über Alternativen, heißt es. Vielleicht geht es dann doch noch an den Etat für Vereine und Verbände, obwohl Grüne und SPD das vor ein paar Monaten noch rundheraus abgelehnt hatten. Mal sehen, wen es dann trifft.
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