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Die selbst in einer Schule entwickelte Plattform IServ will die Stadtverwaltung nicht mehr finanzieren. Sie will die Schul-IT zentralisieren – Dagegen laufen Schulen und Eltern Sturm
Von Nadine Conti
Verkauft die Landeshauptstadt Hannover ihre Schul-IT an einen US-Konzern? Wenn man nur die wütenden Stellungnahmen der hannoverschen Gymnasien, der GEW und verschiedener Parteien liest, klingt das so.
Anfang Dezember verkündete die Stadt, dass sie bis zum Sommer des kommenden Jahres alle Schulen, für die sie als Schulträger zuständig ist, zur Nutzung der stadteigenen Plattform schulen-hannover.de verpflichten will.
Die bei vielen Schulen beliebte und vielen Eltern bekannte Schulplattform IServ wird dann nicht mehr finanziert, weil das eine Doppelstruktur darstellen würde und weil man den Support zentralisieren möchte.
Zu den Softwareressourcen, die über schulen-hannover.de zur Verfügung gestellt werden, würde dann auch Microsoft 365 gehören. Und weil US-Tech-Konzerne nun einmal schwierige Partner sind, wird daraus in der öffentlichen Wahrnehmung ganz fix eine David-gegen-Goliath-Geschichte.
Von Jugend forscht zum Super-Start-up
Wobei das braunschweigische Unternehmen IServ schon dank seiner Entstehungsgeschichte einen sehr hübschen David abgibt. IServ entstand Anfang der 2000er Jahre aus einem schulischen IT-Projekt – ein Informatiklehrer entwickelte zusammen mit interessierten Schülern ein System für die Netzwerkverwaltung und Kommunikation zwischen Lehrern, Schülern, Eltern und Alumni. Dafür gab es sogar eine Förderung von Jugend forscht.
Das System wurde beständig weiterentwickelt und – zunächst eher durch Mund-zu-Mund-Propaganda von weiteren Schulen eingesetzt. Mit der Coronapandamie explodierte die Nachfrage. IServ lieferte zu diesem Zeitpunkt genau das, was Schulen sich wünschten – während die übergeordneten Stellen noch um Zuständigkeiten stritten oder mit der Ausformulierung der Feinheiten des Digitalpaktes beschäftigt waren.
Der entscheidende Vorteil von IServ: Man lieferte im Grunde ein Rundum-sorglos-Paket – von der Verwaltung der Hardware bis zu Modulen für jede erdenkliche schulische Aufgabe, von der Klassenorganisation über den Schulbuchverleih bis zur Organisation von Elternsprechtagen.
Für die Einrichtung benötigt man zwar ein bisschen technisches Know-how – aber aufseiten des einfachen Anwenders nicht. Weil IServ aus dem Schulbetrieb kommt und ganz genau weiß, wie Lehrer, Schüler und Eltern ticken. Das ist etwas anderes als Programme, die eigentlich für Unternehmen gemacht sind und dann mühsam an den Schulalltag angepasst werden müssen.
Und im Gegensatz zu Microsoft bestanden hier auch nie datenschutzrechtliche Bedenken. Vor allem in Niedersachsen und NRW ist IServ weitverbreitet. Auch im Umland von Hannover setzen viele Schulträger weiter auf IServ, was bedeutet, dass die Landeshauptstadt hier möglicherweise einen heiklen Sonderweg einschlägt.
Die IServ-Fans sitzen vor allem in den Gymnasien
Der hat allerdings weniger damit zu tun, dass man sich von Microsoft hat einfangen lassen als vielmehr damit, dass das, was früher IServs Stärke war, nun möglicherweise zur Schwäche wird. Die „Alles aus einem Guss“-Lösung, die IServ präsentierte, setzt sehr stark darauf, dass die Schulen ihre IT-Hoheit behalten.
IServ funktionierte lange Zeit am besten auf schuleigenen Servern und mit schuleigene Administratoren. Den Trend zu Cloud-Anwendung und Fernwartung hat man spät vollzogen. Auch die Integration anderer Dienste und Programme ist nicht ganz leicht.
Man erkennt das sehr deutlich, wenn man sich ansieht, welche Schulen jetzt protestieren: Es sind die Gymnasien und die Gesamtschulen. Hier hat man es in der Regel nicht so schwer, im großen Kollegium technikaffine Lehrkräfte zu finden, die sich der Einrichtung und Verwaltung eines maßgeschneiderten Systems widmen.
An den Grundschulen oder sonderpädagogischen Einrichtungen sieht das oft anders aus. Und die Berufsschulen setzen oft schon deshalb auf Microsoft-Produkte, weil die in der Arbeitswelt, auf die ihre Schüler vorbereitet werden sollen, eben auch zum Einsatz kommen. Von den rund 100 Schulen, für die Hannover als Schulträger zuständig ist, haben nur 43 ein Problem mit der Abschaltung ihrer IServ-Struktur.
Zentralisierung erwünscht, aber bitte nicht so
Diese spezielle Struktur von IServ wird vor allem deshalb jetzt zum Problem, weil die Stadt Hannover eigentlich eine Reihe von IT-Aufgaben zentralisieren möchte. Als Schulträger ist sie ja ohnehin für die technische Infrastruktur und die Sicherheit der schulischen Systeme verantwortlich, künftig soll noch mehr über das städtische Rechenzentrum laufen und auch der Support stärker gebündelt werden. Dafür wurden auch weitere Stellen geschaffen.
Im Grunde entspricht das dem, was in der Bildungslandschaft immer wieder gefordert wird: Die Schulen müssen vor allem vom technischen Support entlastet werden, damit Lehrer wieder das tun können, wofür sie eigentlich angestellt wurden – nämlich unterrichten. Und nicht Passwörter zurücksetzen, Updates aufspielen und Anwenderprobleme lösen.
Viele Schulen wünschen sich, dass sie selbst Techniker vor Ort anstellen könnten. Das wiederum halten viele Branchenexperten für unrealistisch. Wenn man schon Schwierigkeiten hat, ITler für die Verwaltung zu gewinnen – wo es immerhin ein vielseitigeres Aufgabenfeld, abteilungsinternen Austausch und Aufstiegsmöglichkeiten gibt –, wie soll man dann Leute für ein Arbeitsumfeld begeistern, wo sie als Einzelkämpfer vor sich hin wursteln müssten?
Gleichzeitig setzt eine stärkere Zentralisierung voraus, dass man gemeinsame Standards hat. Das fühlt sich für die Schulen, die sich frühzeitig auf den Weg gemacht haben und ausgefeilte eigene Strukturen geschaffen haben, zwangsläufig wie ein Rückschritt an. Zumal sie befürchten, mit dem massiven Arbeitsaufwand, den ein Systemwechsel bedeutet, alleingelassen zu werden. Und am Ende vielleicht auch nicht immer den prompten Support zu bekommen, den sie brauchen.
Landesrechnungshof kritisiert Doppelstrukturen
Bei der Entwicklung der landeseigenen Bildungsplattform, auf der die städtische letztlich aufsetzt, ist IServ bisher ziemlich außen vor. Der Landesrechnungshof hat in den vergangenen Jahren immer wieder kritisiert, dass hier Doppelstrukturen finanziert werden, weil man einerseits in die Entwicklung der niedersächsischen Bildungscloud investiert und andererseits Lizenzgebühren für private Anbieter wie IServ zahlt – obwohl am Ende beide das Gleiche leisten sollen.
Hannover scheint daraus nun den Schluss gezogen zu haben, man müsste IServ abschalten. Hamburg hat den umgekehrten Weg gewählt – hier hat man die eigene Plattform eduport aufgegeben und stellt allen Schulen über das Schuldock künftig IServ Hamburg als Kommunikationsplattform zur Verfügung. Einen „Umzug“ müssen die Schulen trotzdem bewältigen – die alten, schuleigenen IServ-Server werden zugunsten der zentralen Lösung abgeschafft.Nadine Conti
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