Hannes Jaenicke über Bürgerproteste: "Die Politik macht die Leute wütend"
Das wiedererwachte zivile Engagement der Deutschen sollte sich auch im Kampf gegen den Klimawandel zeigen, findet Schauspieler und Dokumentarfilmer Hannes Jaenicke.
taz: Herr Jaenicke, in Ihrem neuen Buch verlangen Sie, dass "wir" angesichts der Klimawandels die Erde vor "uns" schützen. Sollen wir uns umbringen?
Hannes Jaenicke: Nein. Aber wir erwarten ja alle, dass Papa Staat was tut oder die Industrie, und das passiert nicht. Wenn die Politik nicht will oder darf oder kann, müssen wir halt unser Gesäß hochkriegen.
Es sei "beschämend", was wir bisher tun, wir seien die "Verursacher eines Massensterbens". Stimmt. Bloß: Ist das die richtige Ansprache, um Menschen zu erreichen?
Mir geht es um den Informationsmangel, unter dem wir alle leiden. Was unser Konsumverhalten an Folgeschäden produziert, wird uns ja weitgehend und absichtlich verschwiegen. Das Buch soll Zusammenhänge zeigen, wie etwa zwischen Coltan in unseren Handys, dem Bürgerkrieg im Kongo und dem Aussterben des Gorillas.
Wie viele Stuttgart-21-Gegner haben Sie den Glauben an die Politik verloren. Man dürfe Probleme nicht "denen da oben" überlassen. Was heißt das?
Das heißt zunächst: Die da oben sind Menschen wie du und ich. Wir haben eine viel zu hohe Erwartung an die Politik. Ghandi hat gesagt: „Be the change you want to see“ - sei Du die Veränderung, die Du sehen möchtest. Stuttgart 21 ist ein fantastisches Beispiel. Die Leute wachen gerade auf und merken: Aha, man kann sich ja wehren gegen unzähligen Quatsch, der uns serviert wird.
Wenn der Glaube an die politische Klasse verloren geht und dabei der an die Institutionen, wird es gefährlich für die Demokratie.
Da mache ich mir, ehrlich gesagt, keine großen Sorgen. Wir leben derzeit unter einer Regierung, die drastisch an der Bevölkerung vorbeiregiert. Ob das die Hotellobby ist oder die Atomlobby: Ich glaube, es ist noch nie so schamlos Klientelpolitik betrieben worden wie derzeit. Das macht die Leute wütend. Und wenn sie mit dieser Wut in Stuttgart auf die Straße gehen und mit zivilem Ungehorsam die Baustelle stoppen: Das finde ich ermutigend.
Im Kampf gegen den Klimawandel glauben Sie an die "ungeheure Macht des Konsumenten". Wie weit reicht verantwortungsbewußter Konsum?
Wenn wir das geballt machen, wird die Industrie uns die Produkte anbieten, die wir wollen. In dem Moment, in dem die Leute die riesigen Geländewagen nicht mehr kaufen, wird die Autoindustrie sie nicht mehr bauen.
Was bringt individuelles oder nationalstaatliches Engagement ohne globales Klimaabkommen?
Ich kann nicht drauf warten, dass die Amerikaner und Chinesen was machen. Irgendeiner muss anfangen, und wir haben die technischen und finanziellen Mittel. Wenn man mit Herrn Röttgen oder Herrn Gabriel redet, sagen die auch gern, dass Alleingänge nicht funktionieren. Da frage ich: Warum machen die Deutschen dann als Einzige weltweit beim Tempolimit auf Autobahnen einen Alleingang - indem sie keines haben?
Trotz aller Politikskepsis ist Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) in Ihrem Buch sehr präsent. Erwarten Sie echte Klimapolitik von ihm?
Ich glaube, dass er das Richtige will. Er ist hochintelligent und ein expliziter Befürworter des Atomausstiegs. Er ist gläubiger Christ und will die Schöpfung schützen.
Das sagen Unionspolitiker gern.
Ich halte Röttgen wirklich für umweltbewußt. Es ist ein Jammer, dass er als Ressortchef für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit nicht so darf, wie er gerne möchte. Wie man bei der zwischen Regierung und Energie-Konzernen ausgedealten AKW-Laufzeitverlängerung gesehen hat, darf er praktisch gar nichts.
Das Buch: "Wut allein reicht nicht" - Gütersloher Verlagshaus, 22,95 EUR
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