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Handgefertigte Holzschiffe in der Türkei„Der Plan ist in meinem Kopf“

Der türkische Ort Bozburun hat alte Handwerkskunst wieder auferstehen lassen: 150 Familien leben vom traditionellen, ökologischen Bootsbau.

Der Bootsbau in Bozburun hatte schon einmal auszusterben gedroht – jetzt lebt er wieder auf Foto: Jürgen Gottschlich

BOZBURUN taz | Mustafa lacht. „Der Plan für das Schiff? Der Plan ist in meinem Kopf. Es sind die Erfahrungen von Generationen.“ Wir stehen auf einer vielleicht 500 Quadratmeter großen Wiese am Ortsrand des ehemaligen Fischerdorfes Bozburun, ganz im Südwesten der türkischen Ägäisküste.

Zwei unfertige Schiffe, die einmal jeweils um die 20 Meter lang werden sollen, liegen hier in unterschiedlichen Baustadien unter dem blauen Himmel der Ägäis. Dazwischen köchelt Teer und Holzleim. Kreis­sägen und zwei Hobelmaschinen sind vor Ort aufgebaut, mit denen die großen, schweren, bereits grob zugesägten Baumstämme weiterverarbeitet werden.

Mustafa führt das Kommando beim Bau von einem der zwei Schiffe. Aus dem auf Kiel gelegten Holzgerippe soll einmal ein knapp 24 Meter langes Gulet werden. So heißen die bauchigen Segler mit viel Platz, wie sie früher für Küstentransporte benutzt wurden. Schon längst sind sie motorisiert und dienen hauptsächlich dazu, Touristen einen unvergesslichen Urlaub in den Buchten der Ägäis zu verschaffen.

Mustafa hat schon etliche solcher Gulets gebaut. Man beginnt damit, einen Kiel, aufmontiert auf einer Stahlschiene, im Sandwichsystem aufzubauen. Eine Holzlage nach der anderen wird mit Holzleim bestrichen und mit Zwingen zusammengepresst.

Aufträge für handgefertigte Luxusjachten

Wenn der Bug vorne rund drei oder vier Meter nach oben schwingt, wird am anderen Ende des Kiels ein Heckspiegel eingebaut. Von dem aus wird ein Lattengerüst um den zukünftigen Schiffsrumpf gezogen, in das dann die Spanten eingepasst werden. Alles per Hand und mit den einfachsten Mitteln.

Die Herstellung der s-förmigen Querspanten, die im Mittelbereich des Schiffes bis zu vier Meter lang sind, ist das eigentliche Geheimnis dieses traditionellen Baus eines Holzschiffs. Etwa ein Zentimeter dicke Bretter werden auf einer mittelalterlich anmutenden Streckbank in die gewünschte S-Form eingespannt. Das Ganze muss mit viel Gefühl und Erfahrung geschehen, damit das Holz nicht reißt oder Spalten bildet.

Wie schon beim Kiel wird dann erneut im Sandwichverfahren der Spant mit ungefähr sechs oder sieben aufgeleimten Hölzern aufgebaut. Bereits nach zwei, drei Wochen sind die ersten Spanten eingefügt und die zukünftige Form des Schiffes wird erkennbar. Nach und nach entsteht ein wunderschön geschwungenes Holzgerippe, auf das dann die äußeren Planken aufgebracht werden.

Mustafa ist nicht der Einzige, der an einem Schiff baut. Rund um Bozburun, in Sichtweite der griechischen Inseln Rhodos und Simi, wurden im Herbst 2020 auf den Wiesen am Rand des Ortes etliche neue Gulets auf Kiel gelegt. Auch in den größeren Orten an der Südägäis, wie Bodrum, Marmaris oder Fethiye ist der Schiffsbau für Holzboote nach Jahren des Niedergangs wieder in Gang gekommen.

In den Werften von Bodrum werden sogar schon Luxusjachten aus Holz von russischen Oligarchen und arabischen Ölprinzen in Auftrag gegeben. Yachtbau an der türkischen Ägäisküste ist zu einer internationalen Marke geworden.

Früher dienten die selbst gebauten Boote vor allem dem Fischfang, jetzt dem Tourismus Foto: Jürgen Gottschlich

Selçuk Baydemir, der in München Maschinenbau studiert hat und anschließend bei Opel in Rüsselsheim 15 Jahre in der Qualitätskontrolle arbeitete, gründete vor 20 Jahren eine Werkstatt für Dieselmotoren in Bozburun. „Zunächst“, erzählt er, „ging es vor allem um die Wartung alter Maschinen, aber seit der Bootsbau in Bozburun wieder Fahrt aufgenommen hat, bauen wir auch neue Dieselmaschinen für die Schifffahrt um“.

Baydemir ist begeistert über die Wiederauferstehung des traditionellen Bootsbaus. „Bozburun ist dadurch wirtschaftlich autark geworden und ist heute eine prosperierende Gemeinde“, sagt er.

Die Holzschiffe seien bei guter Wartung sehr langlebig, könnten 100 Jahre fahren, so der Maschinenbauer. „Tradition, Ressourcenschonung und wirtschaftlicher Erfolg gehen hier Hand in Hand.“ In Bozburun sind die Eigner der Schiffe fast immer Kapitäne von vor Ort.

„Auch mein Sohn wird hier noch Boote bauen“

Das Schiff, an dem Mustafa baut, hat Ali Okter in Auftrag gegeben. Der junge Kapitän aus Bozburun ist bislang auf Schiffen anderer Familien gefahren, will jetzt sein eigenes Gulet haben. Drei Millionen Lira, gut 300.000 Euro wird die Verwirklichung seines Traums wohl kosten, schätzt er. Natürlich nicht nur für den Schiffsrumpf, der gerade gebaut wird, sondern insgesamt, mit Motor, Masten und allem drum und dran.

Der Bootsbau in Bozburun hatte vor einigen Jahren schon einmal auszusterben gedroht, weil viele junge Leute in die Städte abwanderten. Jetzt boomt das Geschäft wieder. „Was soll ich in der Stadt“, sagt Mustafa. „Hier habe ich ein gutes Auskommen und eine gesunde Umgebung.“ Er ist sich sicher: „Auch mein Sohn wird hier noch Boote bauen.“

So gut wie alle 150 Familien aus Bozburun haben inzwischen ihr eigenes Gulet. Früher lebten sie vom Fischfang oder als Schwammtaucher. Heute leben die meisten Bewohner des Ortes von ihren Schiffen und der kleinen Landwirtschaft, die sie für den Eigenbedarf betreiben. Vor allem Olivenhaine tragen zum Einkommen bei.

Es ist ein gut funktionierendes System, das den Leuten von Bozburun ein gutes Leben ermöglicht. Während des Sommers segeln sie mit Gruppen, die ihre Schiffe chartern, durch die umliegenden Buchten, im Winter werden aus den Pinien und Eichen der umliegenden Wälder neue Boote gebaut oder die alten repariert und gewartet.

Im vergangenen Sommer bescherte die Coronapandemie Bozburun wider Erwarten geradezu einen touristischen Boom. Es gab eine große Nachfrage, weil viele Großfamilien auf den Gulets als geschlossene Gruppe einen sicheren Urlaub verbringen konnten.

Auch in diesem Sommer sind die Gulets von Bozburun wieder gut gebucht, allerdings überwiegend von türkischen Urlaubern. „Unsere ausländischen Kunden halten sich noch zurück“, sagt ­Mustafa. „Da werden wir wohl bis zur Saison 2022 warten müssen.“

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