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Hanau-Gedenken in BerlinYallah, Yallah Widerstand – auch nach fünf Jahren

In Berlin-Neukölln gedenken Tausende dem rechten Terroranschlag in Hanau am 19. Februar 2020. Die Polizei begleitet die Demo auffällig restriktiv.

Demonstrierende haben eine Antwort auf die rechte Politik Foto: Christophe Gateau/dpa

Berlin taz | Tausende Menschen drängen sich am Mittwochabend in den Innenhof des Sonnen-Centers im Süden von Berlin-Neukölln, um den Opfern des rassistischen Anschlags in Hanau fünf Jahre nach der Tat am 19. Februar 2020 zu gedenken. Bei Minusgraden steht das überwiegend junge und vielfach migrantisch geprägte Publikum, eingepackt in Wintermäntel und Kufiyas, dicht an dicht vor dem Eingang zur High-Deck-Siedlung und lauscht türkischer Musik.

Der Ort sei bewusst gewählt, erklärt eine Sprecherin der Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen der taz. Insbesondere Süd-Neukölln und die Siedlungen dort würden immer wieder kriminalisiert. Mit der Kundgebung wolle man gezielt die dort lebenden, vielfach marginalisierten und von Armut betroffenen Menschen einbeziehen. Die High-Deck-Siedlung im weit weniger hippen Südteil Neuköllns war immer wieder Gegenstand rassistisch aufgeladener Debatten, etwa nach den Ausschreitungen in der Berliner Silvesternacht 2022.

Zu dem „antirassistischen Kampftag“ aufgerufen hatte die Berliner Ortsgruppe der Migrantifa, einem bundesweiten Netzwerk, das sich nach dem Anschlag in Hanau gründete, um explizit migrantisch geprägte antifaschistische Strukturen aufzubauen. Neben Berlin fanden am Mittwoch auch in weiteren Städten Proteste statt.

An den Bäumen hängen Bilder der zehn Opfer des Anschlags, die mit Lichterketten beleuchtet werden. Ein Redner liest ihre Biografien vor – sie alle enden am 19. Februar 2020 in Hanau. Es folgt eine Schweigeminute, dann legen die De­mons­tran­t*in­nen Blumen nieder und zünden Kerzen an.

Palästina-Fahnen von Balkonen

Um kurz vor 8 und damit eine Dreiviertelstunde später als geplant setzt sich schließlich ein Demozug in Bewegung. Die Menge zieht die Sonnenallee hinunter, Richtung Karl-Marx-Platz. Angeführt wird der Zug von einem Block, der große, leuchtende Buchstaben in die Höhe hält, die die Parole „Yallah Resistance“ ergeben. Auf Schildern, eingerahmt von flackernden Lichterketten, stehen die Namen derjenigen, die in Deutschland Opfer rassistischer Morde wurden.

Immer wieder richtet sich die Wut der De­mons­tran­t*in­nen gegen die Polizei: „Wo wart ihr in Hanau?“, rufen sie – und wiederholen damit die seit Jahren vorgetragene Anklage des behördlichen Versagens durch Angehörige der Opfer, etwa, weil der Notruf in der Nacht des Anschlags nicht besetzt war. Bis heute haben die Behörden keine Fehler eingeräumt. Stattdessen droht fünf Jahre nach dem Anschlag die Verjährung der Taten.

Während der Demozug die Sonnenallee entlangzieht, performen auf dem vorausfahrenden Lautsprecherwagen Neuköllner Rapperinnen. Einige von ihnen sind in der High-Deck-Siedlung aufgewachsen. An den Hausfassaden nahe der Grenzallee werden metergroß die Bilder der Opfer projiziert, dazu die Parole: „Erinnern heißt kämpfen.“ Von Balkonen entlang der Route schwenken Menschen Kufiyas und Palästina-Flaggen – die Demonstrantinnen reagieren mit lautem Jubel.

Bis zum S-Bahnhof Sonnenallee verläuft die Demonstration weitgehend ruhig. Doch in Nordneukölln angekommen, wo auch die Straßenführung enger wird, verhält sich die Polizei restriktiver. Immer wieder versucht sie, nicht nur auf dem Gehweg neben der Demo herzugehen, sondern auch einzelne Blöcke auf der Straße im Spalier zu begleiten. „Ganz Berlin hasst die Polizei“ und „Whose Streets, Our Streets“ rufen die Demonstrierenden. Wiederholt stoppt der Zug, weil Be­am­t*in­nen einzelne Protestierende aus der Demo ziehen. Zur größeren Eskalation kommt es nicht.

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