Hamed Abdel-Samad in Ägypten: Publizist vermisst
In Deutschland ist Hamed Abdel-Samad gern gesehener Talkshow-Gast. In Ägypten muss er um sein Leben fürchten. Jetzt ist er in Kairo verschwunden.
BERLIN taz | Hierzulande ist der Publizist Hamed Abdel-Samad eine bekannte Medienfigur, seit er als Stichwortgeber von Henryk M. Broder für dessen Satirereihe „Entweder Broder“ vor drei Jahren im Auftrag der ARD durch die Lande reiste. Auf Einladung des Innenministers sitzt er in der Islamkonferenz, und als Ägypten-Experte war der Schriftsteller öfter im Fernsehen zu Gast.
In Ägypten, seinem Geburtsland, ist Abdel-Samad dagegen bislang weithin unbekannt. Unter jenen, die ihn kennen, ist der Autor umstritten, seit er in Kairo einen Vortrag über „religiösen Faschismus“ hielt, dessen Anfänge er schon bei dem Propheten Mohammed ausmachte.
Nun ist Abdel-Samad möglicherweise in der ägyptischen Hauptstadt entführt worden. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen vom Montag ermittelt die Polizei bereits gegen unbekannt. Ein Beamter sagte laut dpa, es sei nicht auszuschließen, dass radikale Islamisten für das Verschwinden des Autors verantwortlich seien.
Zuvor meldete das ägyptische Nachrichtenportal youm7 unter Berufung auf Abdel-Samads Bruder, der Autor sei am Sonntagnachmittag in der Nähe des Al-Azhar-Parks in Kairo verschwunden. Vorher soll er am Telefon gesagt haben, er fühle sich verfolgt.
Hetzkampagne auf Facebook
Mittlerweile verlangt die Bundesregierung von Ägypten „schnellstmöglich“ Aufklärung über das Schicksal von Abdel-Samad. Der deutsche Botschafter in Kairo, Michael Bock, nahm dazu nach Angaben des Auswärtigen Amts vom Montag Kontakt mit der ägyptischen Regierung auf. Nach Angaben von Ministeriumssprecher Martin Schäfer hatte die Botschaft zunächst keine Bestätigung dafür, dass der Publizist tatsächlich entführt wurde.
Offen ließ das Auswärtige Amt, ob die Botschaft Abdel-Samad einen Leibwächter besorgt hatte. Schäfer sagte lediglich, es habe zwischen ihm und der Botschaft „Kontakte gegeben, bei der auch Fragen seiner persönlichen Sicherheit eine Rolle gespielt“ hätten.
Gegen Abdel-Samad gab es Anfang Juni eine Morddrohung. Nach seiner Veranstaltung in Kairo lief auf Facebook eine Hetzkampagne gegen den Autor. Der Salafisten-Scheich Assem Abdel-Maged, der wegen seiner Ausfälle gegen Kopten und Säkularisten notorisch bekannt ist, rief in dem Sender Elhafez zur Ermordung des Deutsch-Ägypters auf.
Der Sender wurde schon mehrmals verklagt, weil der Prediger dort gegen Andersdenkende hetzte. Nach dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi am 3. August, den Abdel-Samad begrüßte, wurden in Ägypten zahlreiche Sender abgeschaltet, die den mittlerweile verbotenen Muslimbrüdern nahestanden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr