Hamburgs Oberbaudirektor über seinen Abgang: „Irgendwann loslassen können“

Nach 18 Jahren ist für Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter nun Schluss. Ein Interview die Macht von Investoren und die heilende Wirkung von Städtebau.

18 Jahre Hamburgs höchster technischer Beamter: Oberbaudirektor Jörn Walter räumt seinen Platz. Foto: Miguel Ferraz

taz: Herr Walter, Hamburgs Oberbaudirektoren werden für jeweils neun Jahre berufen. Sie waren sogar 18 Jahre im Amt. Böse Zungen behaupten, Sie wären für diese Zeit der König der Stadt.

Jörn Walter: Das halte ich für ein Gerücht.

Ist das Gestalten heute leichter oder schwerer als bei Ihrem Amtsantritt 1999?

Die Zivilgesellschaft mischt sich heute stärker ein, sodass wir neben der Verwaltung, der Politik und den Bauherren noch die Bürgerinnen und Bürger haben, die sich engagieren. Die Kräfte, die auf ein Bauvorhaben einwirken, auch durch die Behördenzersplitterung, haben deutlich zugenommen.

In vielen Fällen haben sich BürgerInnen als GegnerInnen gegen Bauvorhaben positioniert, etwa in der Recht-auf-Stadt-Bewegung. Haben Sie das als Bereicherung empfunden oder als Belastung?

Es ist in jedem Fall zeitaufwändiger geworden. Inhaltlich hat das durchaus zu positiven Ergebnissen beigetragen, denken Sie an die Esso-Häuser auf der Reeperbahn, aber auch an die Mitte Altona auf dem ehemaligen Bahnhofsgelände oder die Messe-Erweiterung. Wenn man ein solches Ergebnis erzielt, ist es viel belastbarer. Es gibt natürlich auch strittige Fälle, in denen man nicht immer alle Meinungen zu einer gemeinsamen Lösung führen kann. Das gilt insbesondere für Themen, die eigentlich mit gesellschaftlichen oder technologischen Grundhaltungen zu tun haben.

Was wäre so ein Konflikt?

Die Frage der gerechten Stadt ist eine, die zwar einerseits mit bestimmten Bauvorhaben zu tun hat, sie berührt andererseits auch die gesellschaftliche Frage, wie die Einkommen verteilt werden und die sozialen Systeme organisiert sind. Das sind zwei Ebenen und die eine können Sie auf der Ebene des einzelnen Bauvorhabens nicht lösen.

60, der gebürtige Bremer studierte in Dortmund Raumplanung, war von 1999 bis 2017 Hamburgs Oberbaudirektor und ist seit Honorarprofessor der Hafencity Uni

Warum hören Sie auf?

Man muss irgendwann loslassen können. Ich bin jetzt seit 18 Jahren in diesem Amt tätig und viele Projekte sind weitgehend abgeschlossen, insbesondere die Hafencity ist bis auf ein paar Hochbauwettbewerbe zu Ende geplant. Jetzt nochmal neun Jahre anzutreten, geht auch aus Altersgründen nicht.

Sie haben also von sich aus aufgehört?

Ja. Und ich wollte das auch immer selbst entscheiden können.

Was ist eigentlich die Aufgabe des Oberbaudirektors?

Er ist der höchste technische Beamte Hamburgs, der eine übergreifende Koordinierungsfunktion hat. Die hat sich im Laufe der Zeit immer gewandelt. Sie betrifft alle Vorhaben zur Stadtentwicklung und Stadtgestaltung von gesamtstädtischer Bedeutung.

Das heißt, jeder, der etwas bauen möchte, muss erst mal bei Ihnen vorsprechen?

Das heißt es nicht. Die Bauanträge gehen bei den Bezirken ein. Die müssen bei allen Bauvorhaben, die von gesamtstädtischer Bedeutung sind, meine Stellungnahme einholen. Wenn es Differenzen gibt, kann der Senat für eine Entscheidung angerufen werden. Ich habe davon selten Gebrauch gemacht.

Als Oberbaudirektor sind Sie auch dafür verantwortlich, welcher Raum den verschiedenen sozialen Milieus zugeordnet wird.

Stadtentwicklung und Städtebau weisen nicht bestimmten Gruppen bestimmte Grundstücke zu. Das räumlich-physische System, mit dem ich mich vorrangig auseinandersetze, kann bestimmte Entwicklungen begünstigen oder erschweren, aber nicht die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ersetzen. Es gibt zwar direkte Eingriffsmöglichkeiten, wie beispielsweise Art und Umfang im Sozialwohnungsbau, aber den Irrtum, dass wir die Welt mit dem Städtebau heilen können, teile ich nicht. Ich glaube aber, dass das räumlich-physische System Entwicklungen begünstigen oder behindern kann.

Warum gibt es in Nienstedten, im reichsten Stadtteil Hamburgs, keine einzige Sozialwohnung?

Im Moment haben wir dort kaum Grundstücke, aber wenn wir ein geeignetes Grundstück hätten, würde es dort auch Sozialwohnungen geben. Natürlich begünstigt eine politische Festlegung, wie wir sie mit der Drittel-Regelung bei allen Neubauten ab 20 Wohnungen haben, die soziale Mischung.

Hat die Macht der Investoren zugenommen?

Der Einfluss der Bauherren war immer sehr groß. In der Gründerzeit waren es private Terraingesellschaften, die ganze Stadtteile erschlossen haben. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war die erste Zeit, in der staatlicher Einfluss vergleichsweise stark war, wenn wir das absolutistische Zeitalter einmal außer Acht lassen. Das hat sich seit der Wirtschaftskrise in den 1970ern wieder etwas geändert. Ich erlebe immer, dass Bauherrn überzogene Erwartungen haben und mir ihre Zwänge darlegen. Manchmal hat man dann das Gefühl, alles sei viel schlimmer geworden. Das Bauen war aber immer stark von denen beeinflusst, die investiert haben. Weil das Bauen andererseits eine öffentliche Angelegenheit ist und auch die betrifft, die sich das anschauen müssen, bedarf es einer staatlichen Regulierung.

Und da kommen Sie ins Spiel?

Ja. Es bedarf am Ende eines Einvernehmens zwischen denen, die bauen, und der Gesellschaft. Die Kunst ist, das zu einem Ausgleich zu bringen, dass am Ende ein schönes und nützliches Haus entsteht. Das ist meine Kernaufgabe. Dabei geht es um Kommunikation und Vermittlung, und darum, zu entscheiden.

Sie haben diverse Senate miterlebt. Welche Auswirkungen hatte es auf Ihr Amt, ob Schwarz-Schill oder Rot-Grün am Drücker war?

Fördere ich den sozialen Wohnungsbau oder nicht – so etwas ist eine Richtungsentscheidung, die damit zu tun hat, wer politische Schwerpunkte setzt. Aber das konkrete Bauen, ist ein Haus schön oder hässlich, ist nicht so sehr eine parteipolitische Frage. Und auch die großen Themen – Hafencity, Sprung über die Elbe, Mitte Altona – waren in Hamburg nicht grundsätzlich parteipolitisch umstritten. Umstritten und diskutiert waren Fragen wie der Drittelmix aus Sozial-, Miet- und Eigentumswohnungen oder die Erschließung durch eine U- oder Stadtbahn.

Als Sie antraten, wollte Rot-Grün den Flächenverbrauch auf 114 Hektar pro Jahr senken. Im Durchschnitt der vergangenen 15 Jahre lag er bei 196 Hektar. Haben Sie versagt?

Der Flächenverbrauch ist überwiegend Verkehrsmaßnahmen und ganz großen industriellen Entwicklungen geschuldet. Die allergrößte galt Airbus. Es ist nicht so sehr der Wohnungsbau gewesen. Wenn das gegenwärtige Wachstum so weitergeht, reichen unsere Flächen nicht aus, um die Bevölkerung unterzubringen, weswegen wir jetzt Gebiete aktivieren müssen, die seit ewigen Zeiten im Flächennutzungsplan zur Bebauung vorgesehen sind. Im Sinne des Natur- und Landschaftsschutzes plädiere ich an vielen Stellen für die Nachverdichtung. Das ist für Hamburg die deutlich bessere Entwicklung, als in den Außenbereichen zu bauen.

Müsste der Senat in einem zentrumsnahen Villenviertel wie Othmarschen fünfstöckige Blockrandbebauung planen?

So etwas kann man natürlich planen, aber es hat ein bisschen was mit der Hybris zu tun, die wir aus der Nachkriegszeit kennen: Wir reißen eine Welt ab und bauen eine neue hin. Das entspricht nicht meiner Vorstellung von Stadtentwicklung. Aber wir sollten sukzessive auch in solchen Gebieten über Nachverdichtung reden.

Naturschutzverbände wehren sich aber gegen die Bebauung von Landschaftsachsen.

Die Naturschutzverbände ja, die Bewohnerinnen und Bewohner in Othmarschen – um bei Ihrem Beispiel zu bleiben – und in vielen anderen Stadtteilen sehen das differenzierter. Das Geschäft der Stadtplanung ist das des Interessenausgleichs. Sehen Sie sich eher als Moderator oder als Entscheider?

Ein Oberbaudirektor muss Meinungen haben! Wir müssen Lösungen entwickeln und wir müssen Mehrheiten organisieren. Man setzt sich aber nicht immer durch und muss dann schauen, wo man vielleicht eine falsche Meinung hat. Deshalb diskutiert man als Oberbaudirektor ja mit vielen Menschen aus der Politik und der Bevölkerung. Und am Ende muss es auch gut aussehen und die Stadt muss einen Zusammenhang bilden.

Aber das ist nicht objektiv …

… und es ist auch völlig falsch, diesen Anspruch zu haben. Es gibt viel gute Kunst. Dennoch gefällt mir das eine besser als das andere, da gibt es ein subjektives Moment.

Waren Sie damals auch für die Gummi-Enten von Jeff Koons auf dem Spielbudenplatz?

Koons wäre eine Attraktion gewesen. Die Leute wären dorthin gepilgert. Die Reeperbahn und der Spielbudenplatz sind ein sehr besonderer Ort – da hätte man auch etwas machen können, was aus dem Rahmen fällt. Es gehört an diesen Ort, dass da ein paar schräge Dinge stattfinden. Ich fand den Widerstand – auch aus Fachkreisen – überzogen.

Sie haben die Entwicklung der Hafencity fast von Anfang an begleitet. Wie zufrieden sind Sie damit?

Sie hat sich in vielen Teilen positiver entwickelt, als man das zu Beginn erwarten konnte. Je mehr sie wächst, desto mehr wird erkennbar: Es ist tatsächlich Stadt, was da entsteht und es sind nicht nur Häuser, die nebeneinander stehen. Das unterscheidet die Hafencity sehr stark von vielen internationalen Entwicklungen dieser Art und ist sicher auch der Grund, warum sie international auf so viel Interesse und Anerkennung stößt. Keiner hat so ein hohes Maß an Mischung von Nutzungen hinbekommen und keiner, ein durchschnittlich so hohes architektonisches Niveau wie wir hier.

Es schwärmen ja nicht so viele Leute davon. Die Lokalpresse mault, dass es dort kalt und leblos sei und zählt die Geschäfte, die geschlossen haben.

Das sind Probleme, die man mit jeder Neubauentwicklung hat. Die Hafencity braucht, wie jede große Stadtentwicklungsmaßnahme, Zeit, um sich einzuspielen. Das war in den Gründerzeitquartieren nicht anders. Ich kann nur die physische Struktur so flexibel gestalten, dass sie auch in Zukunft unterschiedliche Leute anzieht. Da bin ich sehr zuversichtlich. Denn die physische Struktur der Gebäude erlaubt Umnutzungen.

Was tun Sie als Nächstes?

Ich werde ein bisschen Lehre machen, auch außerhalb Hamburgs das eine oder andere Preisgericht. Ich habe nicht vor, in der Privatwirtschaft einen Vollzeitjob anzutreten, sondern will mich eher ehrenamtlich einbringen.

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