Hamburger besiegt Hamburger: Denkzettel vom verlorenen Sohn
Beim 0:2 gegen Borussia Mönchengladbach wird Max Kruse zum Sinnbild für die verfehlte Vereinspolitik des Hamburger SV. Gegen "seinen" Club trifft der Hamburger Jung doppelt.
HAMBURG taz | Wenn sich die rivalisierenden Fraktionen im HSV derzeit auf irgendetwas einigen können, dann auf das Mantra „zu wenig Fußballkompetenz in der Vereinsführung“. Einen lebenden Beleg für diesen Befund bekamen die Hamburger am Samstag zu sehen. Er heißt Max Kruse. Er wurde in Reinbek bei Hamburg geboren, lernte das Fußballspielen im Hamburger Osten und schlief als Kind in HSV-Bettwäsche. Am Samstag schoss er beide Tore – für Borussia Mönchengladbach, gegen „seinen“ HSV, für den er nie gespielt hat. Warum eigentlich nicht? Da sind wir beim Thema Fußballkompetenz.
Von den sieben Trainern, die der HSV in den letzten sieben Jahren beschäftigte, hatte keiner Augen für den „Hamburger Jung“. Dabei hätte man nur mal den Fuß ins Stadion eines der engsten Rivalen setzen müssen: Profi wurde Kruse bei Werder Bremen, von dort kam er ablösefrei zum FC St. Pauli. 2012 ging der Offensiv-Allrounder für kleines Geld zum SC Freiburg und schoss den nach Europa. Der HSV schaute zu. Als Kruse nach einem Jahr für 2,5 Millionen Euro zu Borussia Mönchengladbach weiterzog, fehlte dem HSV vielleicht erstmals das Geld, um mitzubieten. Jetzt ist Kruse Nationalspieler.
Es war nicht allein Kruses gnadenlose Effizienz, die den Unterschied zum HSV ausmachte, sondern auch die technische Beschlagenheit seiner Nebenleute Raffael, Juan Arango und Patrick Herrmann – und die mutige Spielweise von Gladbachs Trainer Lucien Favre. „Wir wollten so hoch wie möglich spielen, den HSV gar nicht spielen lassen“, sagte er hinterher. Schon am gegnerischen Strafraum zwang seine Elf mit ihrem Pressing die Defensive des HSV immer wieder zu Fehlern. Die beiden entscheidenden unterliefen Lasse Sobiech, früher Kruses Mitspieler auf St. Pauli: Das 0:1 (23.) legte er mit einem Rückpass auf, den Kruse antizipiert hatte; vor der Flanke zum 0:2 hatte Raffael den Hünen Sobiech mit einer Leichtigkeit ausgetanzt, die an Spott grenzte, und der der 17-jährige Jonathan Tah noch staunend hinterhersah, als er eigentlich Kruse hätte angreifen müssen.
Ist die jüngste Innenverteidigung der Liga zu unerfahren? „Wenn man Spieler unter Vertrag hat und sie weiterentwickeln will, dann muss man ein verantwortliches Risiko nehmen“, sagte HSV-Trainer Bert van Marwijk, „das ist mein Stil.“ Er wies so auf die Beschränkungen hin, mit denen er arbeiten muss, und warb um Geduld. Van Marwijk, dessen Fußballkompetenz im HSV auch nach fünf Wochen im Amt fraktionsübergreifend unumstritten ist, fand es trotz dieser Defizite „unglaublich tragisch“, dass seine Mannschaft ohne Punkt vom Platz ging, hatte er doch ihr „bisher bestes Spiel“ gesehen.
Dennoch hatte die Borussia die Grenzen des HSV deutlich gemacht: Mannschaften wie Stuttgart und Nürnberg hatte die Hamburger Offensive regelrecht überrollt, so dass in Hamburg schon vom „voetbal total“ niederländischer Prägung geschwärmt wurde. Gegen die unechte Spitzenmannschaft aus Mönchengladbach reichte es dagegen gerade zu einer gefährlichen Viertelstunde. Unecht, nicht nur wegen ihrer vier unechten Spitzen, von denen Kruse noch die echteste ist, sondern auch, weil Gladbach das Verfolgerfeld hinter Bayern, Dortmund und Leverkusen deutlich anführt – nicht nur tabellarisch, sondern auch von der Spielweise her. Und unecht, weil Trainer Lucien Favre von alledem nichts wissen wollte, sondern einmal mehr auf das Saisonziel „einstelliger Tabellenplatz“ pochte. Als ein Reporter anmerkte, der zur Champions-League-Qualifikation berechtigende Platz vier sei ja auch einstellig, lächelte er mild.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich