Hamburger Spitzeleien: Verdeckte Ermittlerin rudert zurück
Die ehemalige verdeckte Ermittlerin Astrid O. zieht ihren Strafantrag zurück. Damit ist der Prozess gegen einen Aktivisten der Roten Flora abgesagt.
Das Plakat mit den Ermittler*innen, das im August für Aufregung bei der Polizei gesorgt hatte, hing nicht lange unverändert an der Flora – Polizist*innen kamen nachts mit Leitern und schwarzer Farbe und übermalten die Gesichter. Zwei der Abgebildeten, Astrid O. und Maria B., stellten Strafanträge wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechtes. Maria B. zog ihren Antrag allerdings im Oktober zurück. O. hielt daran fest, so erteilte die Staatsanwaltschaft Blechschmidt einen Strafbefehl mit einer Geldstrafe über 1.800 Euro. Der sah aber nicht ein, warum er zahlen sollte und legte Widerspruch ein. So kam es zum Prozesstermin für den kommenden Donnerstag. Seit Anfang der Woche zierte ein neues Plakat die Flora-Fassade: Wieder mit den vier Gesichtern der Ermittler*innen, und dieses auch Mal mit dem Aufruf, zum Prozess zu kommen. Astrid O. war als Zeugin geladen.
Anklage hinfällig
Am Donnerstag erreichte das Amtsgericht Altona dann die Mitteilung, dass O. ihren Strafantrag zurückzieht. Damit ist die Anklage hinfällig und der Prozess abgesagt. Für Blechschmidt kommt die Absage nicht überraschend. „Ich bedaure die Absage“, sagt er. „Aber es passt genau zu dem, was die Polizei die ganze Zeit mit dem Thema macht: Sie versucht, den Mantel des Schweigens darüber zu legen.“ Die Fälle, in denen verdeckte Polizeibeamt*innen jahrelang Freundschaften vorgetäuscht, persönliche Bindungen eingegangen und politische Kämpfe beeinflusst hatten, um an Informationen über die Szene zu gelangen, seien kaum aufgeklärt worden. Die Betroffenen bleiben mit ihren Fragen und Traumata allein. Daher war den Aktivist*innen der Prozess gerade recht gekommen, um erneut Öffentlichkeit für das Thema zu schaffen.
Schon in der Vergangenheit gab es Gerichtsverfahren wegen der Einsätze verdeckter Ermittler*innen. Eine Exfreundin der ehemaligen Ermittlerin Iris P. hatte geklagt, der Radiosender FSK, der auch von P. infiltriert worden war, ebenso, und auch eine ehemalige Bekannte von Maria B.. In allen Fällen hatten die Kläger*innen Recht bekommen, das Gericht erklärte die Einsätze für rechtswidrig. Zur Aufklärung tragen die Urteile allerdings nicht bei – indem die Polizei die Rechtswidrigkeit anerkennt, bleiben alle Akten verschlossen. Eine Aufklärung auf juristischem Weg wird unmöglich.
Nun wird es vorerst also auch kein Aufeinandertreffen der Bespitzelten mit Astrid O. geben. Die Aktivist*innen hatten schon einen an O. gerichteten Aufruf verfasst: „Astrid, endlich sehen wir dich wieder, wie geil ist das denn? Wir kommen alle und heißen dich schon vor dem Gebäude ganz wärmstens willkommen“, hieß es da.
Polizei kann es nicht lassen
So ganz egal ist der Polizei allerdings doch nicht, ob die Gesichter ihrer ehemals verdeckten Beamt*innen an der Flora hängen oder nicht. Am frühen Freitagmorgen gegen 5 Uhr 15 haben Polizist*innen die Gesichter auf dem Prozess-Plakat an der Flora-Wand wieder mit schwarzer Farbe übermalt. Das bestätigte eine Polizeisprecherin. „Wegen des Kunst- und Urheberrechts“, heißt es zur Begründung, „Paragraf 22 und 23.“ Aus Sicht der Flora-Aktivist*innen ist das widersprüchlich – schließlich hat der juristische Rückzieher O.s gerade gezeigt, dass es eben keine gerichtlichen Konsequenzen hat, die Gesichter der Ermittler*innen zu zeigen. Blechschmidt kündigte an, zu prüfen, ob die Polizei mit der Übermal-Aktion möglicherweise selbst rechtswidrig in das Kunstwerk eingegriffen oder Sachbeschädigung begangen hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste