Hamburger Schule: Kein Schnee von gestern
Ein Buch, ein Album und sogar ein Dokfilm widmen sich der Hamburger Schule aus den 1990ern. Diese Historisierung ist nicht altbacken, sondern wichtig.
D as haben sich die Jugendlichen selbst aufgebaut. Ein Satz wie eine pädagogisch wertvolle Bastelanleitung. Die Zeile stammt aus dem Songtext „Let there be Rock“ von Tocotronic, einem Song, der in seinem hymnenhaften Text lediglich das Dasein als semiprominenter Indierockstar ironisch aufspießt.
Wie zwei Handvoll weitere gehört auch Tocotronic zur sogenannten Hamburger Schule. Mit dieser Bezeichnung hat der damalige taz-Redakteur Thomas Groß Bands und Künstler:Innen jener ab 1988 bis zur Jahrtausendwende wirkenden Musikszene in der Hansestadt zusammengefasst.
Was als loser Zusammenhang begann, meist auf Deutsch textete und weitgehend selbstständig schräge Postpunk-Musik veröffentlichte, hat weit über die Hamburger Stadtgrenzen hinaus im deutschsprachigen Raum Eindruck hinterlassen. Egal ob Wiedervereinigung oder Geschlechterkampf, ob künstlerisch mit Do-it-Yourself-Erfindungsgeist ausgedrückt oder durch arrogante Popstarallüren – es gab nichts, was in dieser Musikszene zwischen Sankt Pauli und Schanzenviertel nicht kritisiert, musikalisch wirkungsvoll eingebettet worden wäre.
Debatte nach Freischaltung
Schnee von gestern? Mitnichten! Was nun in Buchform, auf Albumlänge in einer Compilation und sogar von einer zweiteiligen Dokumentation im Öffentlich-rechtlichen Fernsehen historisiert wird, ist immer noch lebendig. Das zeigen schon die Debatten, die begannen, sobald der NDR-Dokumentarfilm in der Mediathek des Ersten freigeschaltet wurde.
Wie schon in den 1990ern sind diese Hamburger Künstler:Innen zugleich ihre schärfsten Kritiker:Innen – und streiten sich heute so leidenschaftlich über ihre Bedeutung, wie sie damals kreativ zu Werke gegangen sind.
Interessant ist auch die Tatsache, dass die Initiativen für Buch, Album und Dokumentarfilm aus der Hamburger Musikszene selbst kamen und trotz aller kommerzieller Ausschlachtung von den Künstler:Innen eng und kritisch begleitet werden. Und weil aus der kreativen Ursuppe von einst längst pfiffige Showprofis geschlüpft sind, ist diese Nabelschau auch für Außenstehende unterhaltsam.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind