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Hamburger GewaltberatungsstelleMännerberater geben auf

Nach 30 Jahren stellt die Beratungsstelle „Männer gegen Männergewalt“ ihr Angebot ein. Sie sieht sich durch den Senat torpediert.

Raus aus der Anonymität: Männer müssen ihre Berater von der Schweigepflicht entbinden. Foto: Felix Kästle/dpa

Hamburg taz | Sie war bundesweit Vorreiterin und jetzt gibt sie auf. Zum Jahreswechsel hat die Beratungsstelle Männer gegen Männergewalt (MGM) ihre Arbeit eingestellt. Das neue Opferschutzkonzept, das die Sozialbehörde zurzeit erarbeitet, entziehe ihrer Arbeit mit den Tätern die wichtigste Grundlage: den Vertrauensschutz. „Sie haben das gemacht, ohne uns einzubeziehen“, wirft der Männerberater Hans-Jürgen Wielsch der Sozialbehörde vor. MGM habe deshalb für 2017 keine Förderung mehr beantragt. Die Sozialbehörde weist die Vorwürfe von sich.

MGM ist Mitte der 80erJahre in Folge der Frauenbewegung entstanden. „Als Frauen das Thema Gewalt in der Partnerschaft öffentlich machten und Männer Verantwortung übernehmen und sich ändern wollten“, sagt Wielsch. MGM Hamburg sei die „Keimzelle der Gewaltberatungsarbeit im deutschsprachigen Raum“ gewesen, ergänzt sein Kollege Thomas Karrasch.

Sind die Männer vor 30 Jahren in der Regel freiwillig gekommen, werden sie heute auch vom Jugendamt geschickt oder von der Staatsanwaltschaft als Auflage zur Verfahrenseinstellung. Auch die Freiwilligkeit sei allerdings relativ, sagt Wielsch: „Die meisten Männer kommen dann, wenn die Partnerin sagt: Ich verlasse Dich, wenn Du mich noch einmal schlägst.“

Ein Problem gibt es aus Sicht von MGM mit dem neuen Opferschutzkonzept vor allem bei Männern, die vom Jugendamt zur Beratung geschickt werden. Nach den Standards der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit, die die Sozialbehörde künftig vorschreiben wolle, müssten Männer die Berater von der Schweigepflicht entbinden. „Die Sozialbehörde möchte mehr Kontrolle“, behauptet Wielsch, „und stellt weniger die Aspekte in den Vordergrund, die es Menschen ermöglichen, ihr Verhalten zu ändern.“ Letzteres setze voraus, dass die Täter ein Vertrauensverhältnis zum Berater aufbauen und sicher sein könnten, dass das, was sie in der Beratung sagten, nicht beim Jugendamt lande. Es gehe ja gerade darum, problematisches Verhalten zu ändern, indem es zur Sprache gebracht wird.

Das neue Opferschutzkonzept

Das Konzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege hat der damalige SPD-Senat bereits im Februar 2014 der Bürgerschaft vorgestellt. An der Umsetzung wird gearbeitet. Laut Sozialbehörde verfolgt es drei Ziele:

Täter aus dem Hellfeld, jene Täter also, die den Behörden bekannt sind, sollen stärker in die Verantwortung genommen werden.

Opfer, nicht zuletzt Kinder, sollen besser geschützt werden.

Die Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen soll stärker berücksichtigt werden, insbesondere indem Einrichtungen zur Opferberatung und des Kinderschutzes stärker zusammenarbeiten.

Über jede Beratung stellte MGM eine Bescheinigung aus. Das Jugendamt konnte also sicher sein, dass die Männer tatsächlich bei der Beratung waren. Karrasch unterstellt dem Amt aber, dass es auch Informationen aus den Gesprächen haben möchte. Schließlich müsse das Jugendamt eine Gefährdungsprognose machen, sagt Wielsch. Die Folge: „Die Täter sitzen das Programm ab, weil sie ihre Kinder wiedersehen wollen, aber sie ändern ihr Verhalten nicht.“

Die Sozialbehörde weist diesen Vorwurf zurück. „Von einem Verstoß gegen die informationelle Selbstbestimmung beziehungsweise von der Aufhebung des Vertrauensschutzes kann überhaupt nicht die Rede sein“, versichert die Behörde. „Eine Einführung einer allgemeinen Schweigepflichts-Entbindung haben wir weder vom Träger gefordert noch ist diese von uns geplant.“

Die fachliche Weiterentwicklung der Arbeit mit gewalttätigen Männern und Frauen diene laut Behörde allein dem Sicherheitsinteresse der Opfer – wobei auch das Interesse der Täter an einem vertrauensvollen Beratungssetting gewahrt werde. MGM sei Mitglied des Runden Tisches häusliche Gewalt gewesen und auch zu einschlägigen Fachveranstaltungen eingeladen, also sehr wohl beteiligt worden.

MGM kritisierte, die Behörde habe die neuen Standards vor allem mit einem Träger aus München erarbeitet.

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1 Kommentar

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  • Da fehlt eine Info über Bestimmungen, die über die Standards der Bundesarbeitsgemeinschaft hinausgehen oder "Männer gegen Männergewalt" liegt falsch. Im Standard steht wörtlich:

    "Wurden über die Justiz Auflagen bzw. Weisungen an Täter erteilt, an einem Täterprogramm teilzunehmen, ist die Täterarbeitseinrichtung verpflichtet, Rückmeldungen über Beginn, Abbruch, Ausschluss und Abschluss einer entsprechenden Maßnahme gegenüber der weisenden Instanz vorzunehmen. Für die Arbeit mit dem Täter bedeutet dies, dass er zu Beginn der Maßnahme die Täterarbeitseinrichtung gegenüber den Justizorganen von der Schweigepflicht entbinden muss."

    Die Täterarbeitseinrichtung gibt keine gutachterlichen Stellungnahmen oder

    Sozialprognosen über die Täter ab.