Hamburger CDU zur Sicherungsverwahrung: „Es steht Aussage gegen Aussage“
Nach einem Beschwerdebrief von Sicherungsverwahrten kritisiert die CDU die Resozialisierungsmaßnahmen. Die Behörde sieht keinen Handlungsbedarf.
taz: Herr Seelmaecker, es hat ein Jahr gedauert, bis Ihre Anfrage zur Situation der Sicherungsverwahrten nun auf die Tagesordnung des Hamburger Justizausschusses gekommen ist. Ist das symbolisch für das Interesse am Thema?
Richard Seelmaecker: Das ist insofern symbolisch, als es zeigt, wie ängstlich die Behörde im Umgang mit diesen Fällen gewesen ist und sich lange Zeit darauf vorbereiten wollte.
Warum ängstlich?
Weil die Justizbehörde sich um solche Menschen nicht groß kümmern möchte: Es werden Therapiemöglichkeiten nicht ausreichend genutzt und nicht ausreichend empirische Daten gesammelt, etwa für Entlassungsprognosen. So ist vieles im Umgang mit Sicherungsverwahrten immer nur eine Einzelfallentscheidung.
Hinsichtlich der empirischen Daten: Reichen die Fallzahlen in Hamburg aus, um eine sinnvolle Statistik zu führen?
Nein, die Zahl würde ich auf gar keinen Fall als ausreichend erachten. Es sind momentan 15 Sicherungsverwahrte und die Behörde geht von einer abnehmenden Tendenz aus. Aber Hamburg ist ja nicht alleine, das ist ja geradezu ein exemplarischer Fall für eine vernünftige bundesweite Zusammenarbeit.
49, ist justizpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft. Zudem ist er auch als Rechtsanwalt tätig.
Sie sagen, die Behörde wolle sich nicht um die Sicherungsverwahrten kümmern. Was meinen Sie damit?
Die Sicherungsverwahrten sind diejenigen, denen am wenigsten Aufmerksamkeit geschenkt wird, weil sie im Grunde genommen den absoluten Rand der Gesellschaft bilden. Sie gelten, auch wenn sie ihre Strafe bereits abgesessen haben, als gefährlich und sind aus Sicht der Behörde nur noch zu verwalten. Und deswegen steckt kein Herzblut dahinter – wenn ich das mal flapsig formulieren darf –, diese Menschen bestmöglich zu versorgen. Es wird nicht der ernsthafte Versuch gemacht, eine Besserung und Heilung zu finden.
Ins Rollen kam Ihre Anfrage durch einen anonymen Beschwerdebrief der Sicherungsverwahrten. Laut Senat gibt es die Zustände, die darin kritisiert werden, gar nicht. Nimmt Ihnen das den Wind aus den Segeln?
Nein, das tut es nicht. Uns sind als Abgeordnete, die ja die Verwaltung und die Behörde hier kontrollieren sollen, Grenzen gesetzt. Ich bin nicht geneigt zu sagen, dass die Anstaltsleitung die Unwahrheit sagt. Andererseits: Weil es „nur“ ein Sicherungsverwahrter ist, heißt es nicht, dass alles, was derjenige sagt, gelogen ist. Hier steht Aussage gegen Aussage, und es ist wie so häufig im Leben: 100 zu null ist selten. Und insofern befriedigt mich die Antwort auch nicht vollständig.
Was war der Kern der Vorwürfe?
Der Kern war, dass nicht ausreichend Therapiemöglichkeiten gegeben werden, dass die Zustände nicht ausreichend sind und auch nicht so, wie sie geschildert werden. Es kommen mehrere Dinge zusammen, die aber alle letztlich in dieselbe Richtung gehen: Diesem Teil des Vollzuges wird nicht genügend Aufmerksamkeit gegeben.
Laut Behörde ist der Stellenplan weitestgehend erfüllt. Sieben Personen waren Anfang 2022 für 20 Sicherungsverwahrte zuständig. Insofern sei da nichts zu kritisieren. Wie stehen Sie dazu?
Auf den Personalschlüssel kommt es nicht alleine an.Wie so häufig steht und fällt es mit den handelnden Personen und mit dem Spezialwissen, das vorhanden ist.
Und wie ist es damit bestellt?
Wir haben auf jeden Fall noch Ausbaumöglichkeiten bei den Ärzten mit entsprechendem psychiatrischem Spezialwissen. Auch hier wäre die Möglichkeit, im Verbund mit den anderen Bundesländern Spezialisten für die verschiedenen Krankheitsbilder einzusetzen.
Wie eng ist Ihr eigener Kontakt zu den Hamburger Sicherungsverwahrten?
Es ist natürlich die Aufgabe eines Abgeordneten, sich um alle Probleme zu kümmern. Deswegen habe ich auch Kontakt zu Sicherungsverwahrten und bekomme entsprechend geschildert, wie die Lage ist. Das ist immer mit Vorsicht und einer professionellen Distanz zu betrachten. Aber den Menschen kein rechtliches Gehör zu geben, wäre schlichtweg falsch. Man muss die andere Seite hören, auch das ist immer wichtig. Und dann kann man sich letztlich nur anhand der Aussagen sein Urteil bilden. Denn anders als ein Gericht habe ich ja nicht die Möglichkeiten, weitere Beweisbeschlüsse oder ähnliches zu erlassen, um der Sache bis auf den Grund zu gehen.
In Ihrer Anfrage liegen zwei ganz unterschiedliche Tendenzen: einerseits ein anwaltliches Interesse für die Sicherungsverwahrten, andererseits ein Fokus auf Disziplinarmaßnahmen, etwa im Bereich Betäubungsmittelkonsum.
Das eine geht Hand in Hand mit dem anderen. Natürlich werden wir den Vollzug nie drogenfrei bekommen. Ich bin aber weiterhin der festen Überzeugung: Je weniger Drogen genommen werden, desto vielversprechender sind die Voraussetzungen für eine Besserung oder Heilung der Sicherungsverwahrten.
Die CDU ist eigentlich nicht bekannt als Partei, die anwaltlich für Häftlinge oder Sicherungsverwahrte eintritt. Ist das eine neue Rolle?
Das sehe ich ganz und gar nicht so, sondern das gehört nicht nur zum christlichen Menschenbild, sondern zur Menschenwürde, dass jeder Mensch und gerade auch diejenigen, die von der Gesellschaft zu Recht bestraft werden oder im Falle der Sicherungsverwahrten sogar als gefährlich weggeschlossen sind, auch die Behandlung bekommen, die erforderlich ist. Dazu gehört ganz maßgeblich die Resozialisierung. Denn die Resozialisierung oder häufig erstmalige Sozialisierung bedeutet immer, dass die Rückfallquote geringer wird.
Eine geringe Rückfallquote wollen theoretisch alle.
Dieser Drehtürvollzug, den wir über Jahrzehnte erfahren haben, zeigt uns, dass alleiniges hartes Durchgreifen nicht hilft. Es muss immer einhergehen mit einer Therapie, es muss immer einhergehen mit einer Struktur und einer Perspektive. Das Wegschließen alleine hilft nichts. Das hat die CDU so auch noch nie vertreten. Dass es manchmal nicht so im Fokus ist, mag daran liegen, dass wir für härtere Strafen dem Grunde nach sind.
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