Hamburg: "Ein neuer Zug ins Konservative"
Politologe Ulrich Karpen glaubt, dass der Volksentscheid über die Schulreform nicht das Ende von Schwarz-Grün bedeuten muss. Wer Bürgermeister werde, sei offen.
Herr Karpen, hält Schwarz-Grün die Legislaturperiode durch - nach dem Rücktritt von Bürgermeister Ole von Beust und der Niederlage beim Volksentscheid zur Schulreform?
Ulrich Karpen: Es wird künftig immer mehr Bürger- und Volksentscheide geben und wir müssen lernen, mit solchen Sachentscheidungen der Bevölkerung umzugehen. Nicht jede auch noch so deutliche Entscheidung in einer Sachfrage bedeutet notwendigerweise das Ende einer Koalition. Die Grünen müssen entscheiden, ob sie das Experiment fortführen wollen. Falls nicht müssten sie entscheiden, mit wem sie stattdessen zusammenarbeiten wollen.
Diese Frage stellt sich auch im Hinblick auf den nächsten Bürgermeister, den zumindest der CDU-Vorstand mit Innensenator Christoph Ahlhaus schon gekürt hat. Von Beust gilt als liberal, Ahlhaus als konservativ. Ist er der GAL vermittelbar?
hat als Professor der Uni Hamburg zum Parlamentarismus geforscht. 1991 bis 2001 gehörte er der CDU-Bürgerschaftsfraktion an.
Der Bürgermeister wird durch die Bürgerschaft gewählt. Ich sehe noch keine Festlegung - weder bei den Grünen, noch bei der CDU. Auch in der CDU gibt es Überlegungen, jemand anderen zu wählen. Von Beust hat sich in seiner Regierungszeit in die liberale Richtung bewegt. Herr Ahlhaus ist Kraft seines Amtes als Innensenator für Recht und Ordnung zuständig. Da mag man sagen, dass er konservativer sei. Wenn die Grünen weiter mit der CDU zusammenarbeiten wollen, müssen sie eine gewisse Spielbreite in der CDU aushalten.
Ist es klar, dass die CDU mit der GAL weiterregieren will?
In der CDU ist nicht jeder mit der Koalition glücklich. Die interne Diskussion über die Schulreform hat gezeigt, dass es mindestens zwei Flügel gibt. Ich kann mir vorstellen, dass auf dem Parteitag die Wellen hoch gehen werden, aber die CDU hat im Augenblick Grund, eine Neuwahl zu scheuen. Das gilt nicht nur für die CDU, sondern auch für die GAL.
Kann Schulsenatorin Christa Goetsch noch Politik gestalten?
Ich kenne ihr Temperament, ihre Durchsetzungsfähigkeit - aber man muss sagen, sie hat mit einem Hauptprojekt Schiffbruch erlitten. Das ist schwer für eine Senatorin. Natürlich kann sie weitermachen, wenn der neue Bürgermeister sie beruft. Ich wüsste vermutlich, was ich an ihrer Stelle zu tun hätte.
Was hat der Senat beim Volksentscheid falsch gemacht?
Es ist in der Bundesrepublik einmalig, dass die Regierung und das Parlament in einer Allparteienkoalition gegen ein massives Volksbegehren mit 180.000 Unterschriften Stellung nehmen. Das hat viele Bürger veranlasst zu sagen: Das geht nicht!
Die Grünen waren Exponenten der neuen sozialen Bewegungen Anfang der 80er Jahre. Jetzt geraten sie immer öfter in einen Gegensatz zu Bürgerinitiativen. Was sagt uns das?
Vielleicht, dass ein Großteil der Bevölkerung wieder konservativer denkt und die Aufbruchstimmung der 70er Jahre, die die Grünen unterstützt hat, im Schwinden begriffen ist. Hier kündigt sich ein konservativer Zug der Bevölkerung an: Wir wollen die Krankenhäuser und die Wasserwerke nicht an Private verkaufen. Wir wollen nicht, dass an der Schule herumgedoktert wird. Da werden wir noch einiges erleben.
Die Wahlbeteiligung in den wohlhabenden Stadtteilen lag weit über der in den armen. Hatte das Einfluss auf das Ergebnis?
In den Stadtteilen, die zu den besser gestellten gehören, wird erstens viel häufiger politisch diskutiert; zweitens können die Leute die umfangreichen Wahlunterlagen leichter lesen und ausfüllen und drittens meinen die Leute dort, ihre Kinder sollten früher durchstarten können.
Hat sich hier der pure Egoismus Bahn gebrochen, wie bei anderen Bürgerentscheiden auch, wo es um partikulare Interessen geht?
Es gibt einen alten Spruch: "Heiliger St.Florian, verschon' mein Haus, zünd' andre an". Kindergärten, die laut sind: bitte nicht in meiner Nachbarschaft; die vielen Migranten in den Klassen - bitte woanders, nur nicht bei mir im Gymnasium.
Ist die direkte Demokratie der richtige Weg?
Ich sehe sie grundsätzlich positiv. In Bergedorf, dem kleinsten Bezirk, reichen aber schon 1.000 Unterschriften, um ein Verwaltungsprojekt zu stoppen. Es muss etwas getan werden, damit nicht winzige Minderheiten ein Vetorecht erhalten. Dennoch: In einer Zeit, in der wir über die Verkrustung der Parteien nachdenken, ist es gut, dass die Bürger die Möglichkeit nutzen, selbst über die Dinge zu entscheiden.
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