Hamburg zeigt „seine“ Komponisten: Die „Musikstadt“ hält sich raus
Ab Montag ist das Hamburger „Komponistenquartier“ komplett. Finanziert hat diese Mini-Museumsmeile nicht etwa der Senat, sondern Privatiers.
Ein schönes Viertel ist es, mit Kopfsteinpflaster und Bäumen, und das ist kein Zufall: Sehr gezielt hat die Alfred Carl Toepfer-Stiftung – deren Gründer zwar kein Nazi war, sich aber erst 1943 explizit vom NS-Regime distanzierte – 1965 das abrissgefährdete Beyling-Stift von 1755 übernommen und hergerichtet.
Alsdann hat die Stiftung auf Nachbargrundstücken alte repräsentative Bürgerhäuser wieder aufgebaut, teils unter Verwendung originaler historischer Fassaden. All das ausgerechnet in einem Viertel, in dem seit dem 30-jährigen Krieg Immigranten, Kriegsflüchtlinge und weniger Betuchte wohnten, unter ähnlich elenden Bedingungen wie einst im Gängeviertel.
Johann Adolf Hasse wurde 1699 in Bergedorf geboren und war 1718 Tenor an der Oper am Gänsemarkt, bevor er 1719 nach Braunschweig zog.
Georg Philipp Telemann wurde 1721 Musikdirektor der Hamburger Hauptkirchen, 1722 künstlerischer Leiter der Oper am Gänsemarkt und lebte bis zu seinem Tod 1767 in Hamburg.
Carl Philipp Emanuel Bach wurde 1767 Musikdirektor der Hamburger Hauptkirchen und lebte dann bis zu seinem Tod 1788 in Hamburg.
Fanny und Felix Mendelssohn wurden 1805 beziehungsweise 1809 in Hamburg geboren, wo sie bis 1816 lebten.
Johannes Brahms wurde 1833 in Hamburg geboren, dirigierte dort 1848 sein erstes eigenes Konzert, lebte bis 1862 in Hamburg.
Gustav Mahler wurde 1891 Erster Kapellmeister am Stadt-Theater Hamburg und konvertierte 1897 im „Kleinen Michel“ zum Katholizismus.
Ein Kontrast, der dadurch noch größer wird, dass in einigen dieser Häuser das ab Montag vollständige Komponistenquartier eröffnet. Zunächst war es nur Brahms gewidmet, später folgten Telemann, Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel und Johann Adolf Hasse. Aktuell kamen die Geschwister Fanny und Felix Mendelssohn sowie Gustav Mahler hinzu.
Doch während alle anderen sich eine chronologisch organisierte Raumflucht teilen, mit Hörstationen und Touchscreens arbeiten, hat das Brahms-Museum einen eigenen Eingang und wirkt auch in der Anmutung – das Interieur der Brahms-Zeit imitierend – eher konservativ.
Diese divergierenden Konzepte hängen auch damit zusammen, dass dieses Museum nicht etwa, wie man von der „Musikstadt Hamburg“ erwarten könnte, von der Stadt finanziert wird, sondern dies großteils Privatiers überlässt. Die Kulturbehörde gibt jährlich 30.000 Euro aus der „Bettensteuer“, die übrigen 120.000 bis 150.000 Euro jährlich tragen die Toepfer-Stiftung und die den einzelnen Komponisten gewidmeten Gesellschaften.
„Wir sind kein Museum im engeren Sinne“, sagt Ingeborg Steifensand, Vorsitzende des Vorstandes des Komponistenquartiers. Denn man habe keine eigene Sammlung und arbeite großteils ehrenamtlich.
Nicht immer authentisch
Die Ausstellung ist eine Mixtur aus Beständen der Komponistengesellschaften und irgendwie dazu Passendem geworden, die die Grenze zwischen Authentizität und Symbolik verwischt. Da steht etwa ein Fahrrad von 1895 als Zeichen für Mahlers Rastlosigkeit – aber Mahlers Rad ist es nicht. Auch das Clavichord, Lieblingsinstrument Carl Philipp Emanuel Bachs, ist nicht das Original. Sehr wohl authentisch – wenn auch nur akustisch – ist Mahlers Klavierspiel, das von einer ins Pianola gespannten „Lochkarte“ erklingt, die Mahler selbst aufnahm. Aus seinen „Liedern eines Fahrenden Gesellen“ spielt er darauf; es ist eine Zeitreise im Kleinen.
„Wir wollen eine Art Edutainment bieten, einen sinnlichen Erfahrungsraum und ein flanierendes Hören“, sagt Kuratorin Rita Strate, Geschäftsführerin des Komponistenquartiers. Das kann man in der Tat, wenn man sich etwa auf die Bank setzt, die derjenigen aus Bachs Wohnung ähnelt, oder in das nachgebaute Komponierhäuschen Gustav Mahlers. All das ist interessant und löblich. Aber da die Schau auf engem Raum so schnell von einem Komponisten zum anderen springt, verlässt man den Ort oftmals verwirrter als zuvor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!