Hamburg rätselt über angezündete Autos: Eine diffuse Brandserie
In Hamburg sind in diesem Jahr schon 130 Autos in Flammen aufgegangen. Politische Gründe für die Brandstiftungen schließt die Polizei weitgehend aus.
HAMBURG taz | Eine Radiomeldung in den Morgennachrichten klingt seit Monaten stereotyp: "Erneut haben in der vergangenen Nacht in Hamburg Autos gebrannt." Fast 130 Autos sind seit Jahresbeginn in der Elbmetropole den Flammen nächtlicher Feuerteufel zum Opfer gefallen. Erst rund um das vorige Wochenende brannten 25 Pkws aus, darunter in der Nacht zum Montag im Edelstadtteil Harvestehude das Saab-Cabriolet der Ehefrau des CDU-Bürgerschaftsfraktion-Vorsitzenden Frank Schira - aber wohl eher zufällig.
Die Polizei geht weiterhin davon aus, dass das Gros der Brandstiftungen keine politischen Hintergründe haben. "Das grenzt uns von Berlin ab", sagt Hamburgs Polizeisprecher Mirko Streiber. "Dort gibt es zum Teil Bekennerschreiben, hier nicht."
In der Hansestadt lägen die Motive wohl eher im puren Vandalismus oder es seien Beziehungstaten. So hatte ein Lover den Golf seiner Exfreundin abgefackelt oder ein anderer Mann hatte den Wagen seines Nebenbuhlers angezündet, der seine Freundin angebaggert hatte. "Die Taten ziehen sich über das gesamte Stadtgebiet", berichtet Streiber. Selbst in Regionen, die als soziale Brennpunkte angesehen werden, ist gezündelt worden. Anders als in Berlin konzentrierten sich die Taten nicht auf Edelkarossen, sondern es seien Fahrzeuge aller Klassen und Fabrikate betroffen. "Es sind sicher hochwertige Autos, aber es sind auch Polos, Golfs oder Kleinlaster dabeigewesen", sagt Streiber.
Auch sei die Tatausübung völlig unterschiedlich, die jeweiligen Täter könnten aus allen sozialen Schichten kommen. "Man kann also ausschließen, dass da eine Bande durch die Stadt zieht", sagt Streiber. Auch Versicherungsbetrügereien sind nicht ausgeschlossen, denn Teil- und Vollkaskoversicherungen übernehmen in der Regel Brandschäden auch bei Brandstiftungen, teilte der Hamburger Senat auf eine Anfrage der SPD mit.
100 Beamte einer Sonderkommission (Soko) sind seit Wochen jede Nacht im Einsatz, um das Zündeln einzudämmen. Sie fahren getarnt in Zivilfahrzeugen durch die ganze Stadt, um zufällig Täter auf frischer Tat zu ertappen. Doch meistens heißt es in den Nachrichten: "Die Täter konnten trotz Sofortfahndung der Polizei unerkannt entkommen." In den Boulevardmedien wird die Sondereinheit oft schon als "Soko Sinnlos" verschmäht. "Wir haben aber auch einige Erfolge zu verbuchen," kontert Polizeisprecher Streiber. So sei es im Rahmen der Polizeimaßnahmen zum Schanzenfest am vorigen Samstag Zivilfahndern gelungen, im Stadtteil Rotherbaum drei Brandstifter auf frischer Tat zu ertappen. Der Haupttäter sei dem Haftrichter vorgeführt worden.
Hamburgs Verfassungsschutz ist zwar in die Erhellung der Brandserie involviert, hält sich aber mit einer konkreten Bewertung der "diffusen Taten" zurück. "Es liegt in der Hand der Polizei, die Brandstiftungen aufzuklären, wir sind im Moment nur Beobachter, die vielleicht mal gewisse Betrachtungen anstellen", sagt der geschäftsführende Verfassungsschutzchef Manfred Murck der taz. "Es gibt einfach Zuordnungsprobleme." Es gebe schon "Überlegungen", ob es auf der "Opferseite" Anhaltspunkte dafür gebe, dass das linksextreme Milieu in Betracht komme, da in deren Weltbild das Auto oder der Halter nicht passe. Oder ob die letzte Brandserie vor dem Schanzenfest eine Begleiterscheinung im Vorfeld gewesen sei?
Aber selbst bei der Brandstiftung am Auto von Iris Schira ließe sich zurzeit nicht sagen, ob der Wagen gezielt aus politischer Motivation angezündet worden sei - wenn der Wagen in einer Reihe neben anderen Pkws gestanden hat und mit denen in Brand gesetzt worden ist - oder ob "Bekloppte oder Kids" nur zufällig diese Pkws abgefackelt haben, sagt Murck. "Von einer konkreten Bewertung sind wir weit entfernt."
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