Hamburg-Derby auf St. Pauli: Kampf der Systeme
Die Fußballer des FC St. Pauli empfangen den HSV zu einem Spitzenspiel auf Augenhöhe. Wirtschaftlich trennen die Clubs noch Welten.
Zweitligahauptstadt – das ist ein Titel, auf den niemand scharf ist. Hamburg wird ihn aber nicht los: Seit seinem Abstieg vor fünf Jahren trifft der HSV regelmäßig auf den lokalen Rivalen FC St. Pauli, der sich diese Bezeichnung seither erst so richtig verdient hat. Der traditionell „kleine“ Club der Stadt gewann fünf von zehn Stadtderbys, der „große“ HSV nur drei. Und jeder dieser Siege wird gefeiert wie eine inoffizielle „Stadtmeisterschaft“, mit reichlich Feuerwerk, mit Aufklebern und Graffiti überall.
Am Freitag ist es wieder so weit, und diesmal haben beide Teams gute Aussichten, die Zweite Liga hinter sich zu lassen: Der HSV könnte bei einem Auswärtssieg am Millerntor mit Spitzenreiter St. Pauli gleichziehen.
Doch die enge Situation an der Tabellenspitze ist trügerisch: Der Stadtteilcub vom Kiez hat in der Liga noch kein Spiel verloren. Seit er vor einem Jahr den Publikumsliebling Timo Schultz entließ und dessen damals erst 29-jährigen Assistenten Fabian Hürzeler zum Cheftrainer machte, hat sich das Team enorm weiterentwickelt; es übt derart dominant Ballkontrolle aus, dass Gegner wie Publikum bisweilen staunend daneben stehen.
Mit der manchmal aufreizenden Gelassenheit im Spielaufbau und den umso dynamischeren Außenspielern sind auch Aufstiegskonkurrenten regelmäßig überfordert. Regisseur Marcel Hartel hat nun auch noch das Toreschießen entdeckt – genau wie Johannes Eggestein im Sturmzentrum, der nach einem bitteren Jahr im Club schon abgeschrieben schien.
Angriff auf Deubel komm raus
Der HSV dagegen hat nach dem erneut verpassten Aufstieg entgegen den eigenen Gepflogenheiten Trainer Tim Walter einfach weitermachen lassen. Und das macht er auch: Mit kompromisslosem Tim-Walter-Fußball, also Angriff auf Deubel komm raus, oft ohne Absicherung. Walters Credo ist, der vor allem offensiv hochklassig besetzte HSV müsse in der Lage sein, immer ein Tor mehr zu schießen als der Gegner.
Das hat nun schon sechsmal nicht geklappt, dreimal gingen die Hamburger als Verlierer vom Platz. Dazu trägt auch bei, dass sich der HSV seit Jahren schwer damit tut, konkurrenzfähige Innenverteidiger unter Vertrag zu nehmen. Die, die da sind, handeln sich wegen des riskanten Walter-Spiels häufig früh gelbe Karten ein und müssen danach sehr zurückhaltend agieren.
Immer wieder wird im Verein Kritik laut, die Mannschaft stagniere. Dabei zahlt der zur Jahresmitte mit rund 75 Millionen Euro verschuldete HSV auch fünf Jahre nach dem Abstieg noch Gehälter wie mancher Erstligist. St. Pauli gibt für sein Team geschätzt ein Drittel weniger aus.
Doch in den vergangenen Wochen kam es zu einem unerwarteten Rollentausch: Der HSV verkündete erstmals in der Zweiten Liga ein positives Jahresergebnis. Der FC St. Pauli hingegen musste nach langen Jahren des erzsoliden Wirtschaftens erstmals wieder ein Millionenminus verbuchen.
Genossen gesucht
Unter anderem, weil der Club sich mit einem Projekt gewaltig verhoben hat, das so perfekt zu seinen Werten und seinem Image zu passen schien: Statt einen lukrativen Ausrüstervertrag abzuschließen, hatte man die eigene Marke DIIY für fair hergestelltes Merchandising gegründet. Doch statt Geld einzuspielen, verlor sie Millionen. St. Pauli zog die Notbremse und spielt künftig mit dem Logo des Sportswear-Riesen Puma auf der Brust.
Auch durch den Ausflug in die Textilbranche ist das Eigenkapital um mehr als die Hälfte abgeschmolzen. Um das zu korrigieren, geht St. Pauli nun wieder einen sehr eigenen Weg: die Gründung einer Genossenschaft. Die Fans sollen in den Club investieren und dafür vor allem eine ideelle Rendite erwarten können: guten Fußball ohne Investoren. „Wir verzichten auf viele Einnahmen, die andere Clubs gerne mitnehmen“, begründete Präsident Oke Göttlich den Plan vergangene Woche vor den Mitgliedern.
Der HSV hat diese Einnahmequellen schon ausgeschöpft, zum Teil sogar trickreich überstrapaziert: Sogar den Erlös des einst von der Stadt geschenkten und dann an sie zurückverkauften Stadiongrundstücks hat der Verein verpulvert, statt davon wie vereinbart sein Stadion für die Europameisterschaft im kommenden Jahr fit zu machen.
Der Stadionname ist längst verkauft: Gönner Klaus-Michael Kühne zahlt Millionen dafür, dass es weiterhin Volksparkstadion heißen darf und nicht Düdeldaddel-Arena. Auch an den veräußerbaren Anteilen an der Profifußball-Firma HSV AG hält der machtbewusste Milliardär den Löwenanteil. Demnächst soll die Rechtsform geändert werden, damit weitere Investoren einsteigen können.
Doch auch fremdes Geld schießt nicht immer Tore. Auf den HSV wartet am Freitag ein Gastgeber auf Augenhöhe – mindestens.
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