Haltung zum Kaukasuskrieg: EU diffus und zerstritten
Am Kaukasus-Krieg demonstrieren die EU-Staaten große Uneinigkeit in außenpolitischen Fragen. Doch die politische Trennlinie zwischen "alter" und "neuer" EU scheint sich aufzulösen.
BRÜSSEL taz Gäbe es bereits den im Lissabon-Vertrag vorgesehenen europäischen Außenminister, er wäre in diesen Tagen um seinen Job nicht zu beneiden. Die Signale aus den Hauptstädten der EU an Moskau und Tiflis sind noch widersprüchlicher als die während des Irakkonflikts. Schwedens Außenminister Carl Bildt verglich Russlands Vorgehen im Kaukasus mit der Okkupationspolitik der Nazis, Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner dagegen versuchte die Schuld gleichmäßig auf die Konfliktparteien aufzuteilen.
"Es gab große Einschätzungsfehler der Georgier und eine unverhältnismäßige Antwort der Russen", sagte er der Zeitung Le Journal du Dimanche. Frankreich, das derzeit den Ratsvorsitz in der Europäischen Union innehat, bemüht sich in reger Reisediplomatie zwischen Moskau und Tiflis um Lösungen und hofft vor allem auf eine Resolution des Sicherheitsrates, damit europäische Beobachter und vielleicht sogar europäische Friedenstruppen im Kaukasus stationiert werden können.
Doch die Erfahrungen aus dem Kosovokonflikt sollten Frankreich eigentlich gelehrt haben, dass der UNO die Hände gebunden sind. Bis heute wartet die EU auf ein eindeutiges Signal des UNO-Generalsekretärs, um im Kosovo die Rechtsstaatsmission Eulex unter europäischer Regie starten zu können. Eulex soll die seit 1999 im Kosovo tätige UN-Truppe Unmik ersetzen und die Ausbildung von kosovarischen Polizeikräften, Staatsanwälten und Verwaltungsmitarbeitern vorantreiben. Seit Monaten stehen die europäischen Fachleute bereit. Doch Russland blockiert die EU-Mission und erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an.
Dass die EU selber in der Kosovofrage zerstritten ist, mindert die Chancen von Eulex zusätzlich. Nur 20 der 27 Mitgliedsländer haben bislang den neuen Staat anerkannt. Die slowakische Republik erklärte kürzlich, sie werde Kosovaren, die keinen serbischen, sondern den neuen kosovarischen Pass vorweisen, nicht einreisen lassen. Da die Slowakei Mitglied des Schengen-Raums ist, wirft diese einseitige Entscheidung neue innereuropäische Probleme auf. Was passiert, wenn ein Tourist mit kosovarischem Pass über Frankreich in den Schengen-Raum kommt und von dort in die Slowakei weiterfahren will? Ganz abgesehen von den praktischen Fragen führt die slowakische Erklärung das Konzept einer EU ohne Grenzen ad absurdum.
Die seit dem Beitritt der osteuropäischen Länder geltende klare Trennlinie zwischen der "neuen EU", die den USA und der Nato nähersteht, und der "alten EU", die gute Beziehungen zu Russland pflegt, löst sich auf. In der Kosovofrage schlägt sich die Slowakei zunehmend auf die Seite Russlands. Tschechiens Staatspräsident Václav Klaus distanzierte sich im Kaukasuskonflikt von seinen baltischen Kollegen, die letzte Woche unter Führung des polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczynski zu einem Solidaritätsbesuch nach Tiflis gereist waren. Es sei "unheimlich in Mode", Russland als einzigen Aggressor zu sehen, sagte er zu Rádio Cesko. Doch das sei eine zu einfache Weltsicht.
Dem amtierenden französischen Ratspräsidenten dürfte das aus der Seele sprechen. Die von Staatspräsident Sarkozy und seinem Außenminister Bernard Kouchner vorgegebene Linie lautet: Man ignoriert die Frage, wer den Krieg vom Zaun gebrochen hat - der Blick wird in die Zukunft gerichtet. Die EU hält zu beiden Konfliktparteien den exakt gleichen Abstand und hofft auf ein Wunder in New York. Dass Russland eine UN-Resolution passieren lässt, auf deren Grundlage europäische Beobachter, vielleicht sogar Friedenstruppen, im Rahmen einer OSZE-Mission in den Kaukasus kämen, glaubt ernsthaft niemand. Seit Angela Merkel in Tiflis laut und deutlich Georgiens Perspektive auf eine Nato-Mitgliedschaft bestätigt hat, sind die Chancen dafür weiter gesunken. Denn Russland fühlt sich von EU und Nato gleichermaßen eingekreist.
Die von Frankreich beschworene enge Abstimmung zwischen Paris und Berlin ist damit dahin, das Bild einer in sich zerstrittenen, außenpolitisch diffusen Europäischen Union komplett. Dabei haben alle EU-Mitglieder im Kaukasus starke und identische Interessen: Nur ein dauerhafter Frieden mit allen Konfliktparteien ermöglicht die geplanten Pipelineprojekte sowohl in Sibirien als auch bis nach Aserbeidschan und sichert Europas Energieversorgung.
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