: Hätte nach 9/11 irgendwer Osama bin Laden hofiert?
Maria Pylypchak, 70, Musikpädagogin, hat miterlebt, wie Wohnhäuser in ihrem Bezirk bombardiert wurden
Was ich über den angeblichen Trump-Plan denke? Der hat nichts mit Frieden zu tun, sondern kommt einer Kapitulation der Ukraine gleich. Hier werden klar russische Interessen vertreten, ukrainische hingegen kommen nicht vor. Wenn wir auf dieser Grundlage verhandeln, verlieren wir alles und laden dieses Problem bei unseren Kindern ab.
Wie kann man mit Moskau verhandeln, wo es doch noch nie seine Verpflichtungen erfüllt hat? Jeder weiß, dass wir unsere Atomwaffen 1994 abgegeben haben, um dafür Sicherheitsgarantien zu bekommen. Selbst Ex-Präsident Clinton hat eingeräumt, dass dies seinerzeit ein Fehler war. Heute werden täglich Hunderte von uns getötet.
Nach den Anschlägen auf die Zwillingstürme 2001, bei denen über 3.000 Amerikaner gestorben sind, war die Welt erschüttert und hat den USA geholfen. Die Zahl unserer unschuldigen Opfer ist um ein Vielfaches höher, doch Amerika hat es nicht eilig, uns zu helfen. Ist es vorstellbar, dass nach dem 11. September irgendjemand Osama bin Laden hofiert hätte? Er wurde zum Terroristen Nr. 1 erklärt, niemand wollte mit ihm verhandeln. Russland terrorisiert seit Jahrzehnten Millionen Menschen, trotzdem wird Wladimir Putin der rote Teppich ausgerollt und es werden Pläne geschmiedet, um seine Interessen zu schützen.
Ich wohne im Dniprowskyj-Bezirk von Kyjiw, etwa 600 Meter von einer Spezialklinik für Herzoperationen entfernt. Dort wurde am 25. November ein Wohnhaus getroffen, Menschen starben. Etwas weiter liegt noch ein Krankenhaus für Notfälle. Ist das etwa kein Terrorismus?
Unsere Regierung hat zwar selbst viel Unheil angerichtet – während eines Krieges zu stehlen ist schrecklich. Aber ein eingefrorener Konflikt wäre kein Schlag gegen die Korruption, sondern gegen die Ukrainer, die die russische Aggression aufhalten. Solange sich die Ukraine dem Terror widersetzt, wird ihre Stimme gehört.
Zwar sieht es im Moment nicht gut für uns aus, doch Gott hat uns nicht erschaffen, um uns im Stich zu lassen. Wir müssen weiter kämpfen und glauben. Gott hat keine anderen Hände als unsere – und mit diesen Händen müssen wir die Freiheit verteidigen, die nicht verhandelbar ist. Die Amerikaner sollten wissen, was Freiheit und christliche Werte bedeuten.
Schon mein Großvater hat immer gesagt: Man kann einem Engländer nichts auf Französisch erklären. Bei den Russen ist es genauso – sie verstehen keine andere Sprache als die der Stärke. Was uns der Westen geben müsste, ist weit weniger als das, was wir geopfert haben. Es würde schon reichen, wenn Russland endlich spürte, was Krieg bedeutet und wie viel Leid er bringt. Solange die Russen das nicht spüren, kann man Pläne mit beliebig vielen Punkten schreiben. Aber die Ursache des Krieges wird damit nicht beseitigt.
Protokolliert von Grygorij Palij
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