: Häßlichkeit steigt zu Kopf
■ Das Theater zum Westlichen Stadthirschen zeigt "Yvonne" von Gombrowicz
Yvonne ist so spröde wie eine alte Spanplatte, sie ist häßlich, verstockt, linkisch und stumm wie ein Fisch. Mit eingeklapptem Unterkiefer, stierenden Augen und hängenden Schultern sitzt sie meist apathisch auf der Bank und zerstört allein mit ihrer Anwesenheit alle eitle Noblesse am Königshof. Ihre Häßlichkeit offenbart die Häßlichkeit der feinen Gesellschaft: Als sie zur Prinzessin von Burgund ernannt wird, steht ein geiferndes, mordlüsternes Pack um sie herum und sieht maliziös lächelnd zu, wie Yvonne an einer Fischgräte erstickt. Dieses Sterben ist beklemmend in seiner Bescheidenheit: Es sieht aus, als wollte Yvonne die Gesellschaft auf keinen Fall unnötig belästigen, so dezent ist das Röcheln. Hochrot stakst und schwankt sie zum Sterben davon – ein wunderbarer Abgang einer wunderbaren Schauspielerin.
„Primo muß uns aufs schmerzlichste bewußt werden, wie mies wir sind“, beschrieb der Pole Witold Gombrowicz sein ästhetisches Konzept. Doch die Schmerzen sind süß: Leicht, ironisch, hintergründig und frech ist sein 1935 geschriebenes Stück „Yvonne, die Burgunderprinzessin“, das Ernst Schröder 1970 im Schiller Theater erstaufführte.
Suse Mann trägt ein Kunstwerk aus biederer Handarbeitsstickerei an sich und die Aura einer wahrhaft Häßlichen um sich, und das ist von ungeheurem Reiz. „Wenn man ihnen zu nahe kommt, steigen häßliche Frauen mitunter mehr zu Kopf als hübsche“, weiß Cyryll, der Freund des Prinzen. Doch die Warnung kommt zu spät. Aus einer Laune heraus hält der Fatzke um ihre Hand an, später erliegt er ihrer Erscheinung und muß Yvonne allein deshalb lieben, weil sie ihn liebt. Das aber erträgt sich schwer, süß lockt die Schönheit der Hofdame Isa, und schnell ist das Messer gezückt. Zustechen kann er nicht, dazu ist er zu feige, wie der König, von gleichen Gedanken getrieben, registriert.
Doch der Prinz mag nicht nur feige sein, er wirkt auch merkwürdig hölzern und fleischlos. Freilich ist sein Gemütswandel bereits im Stück kaum zu erklären. Zu unvermittelt tritt er ein: für psychologische Erklärungsmuster interessierte sich Gombrowicz (zu) wenig. Jens Wachholz jedoch ist hier schauspielerisch so schwach auf der Brust, daß das Karussell auf der Bühne bei seinen Auftritten merklich gebremst wird. Leider assistiert ihm dabei auch der sonst so hinreißend spielende Joey Zimmermann als „Cyryll“, und auch der Hofdame Isa (Ursula Ofner) wünscht man sich anfänglich mehr Präzision auf den Leib.
Doch das sind Schwachstellen in der Aufführung, die (mal mehr, mal weniger leicht) zu verschmerzen sind. Regisseur Johannes Herrschmann gelingt es mit einem leichten Reigen, die Widerlichkeit der höfischen Claqueure unterhaltsam zu dechiffrieren, ohne in die Klamotte abzurutschen. Dies ist insofern eine diffizile Aufgabe, da mitunter tief in die Schmonzettenkiste gegriffen wird. Zum Strauß-Walzer wandelt die Gesellschaft in einer Art sakral-lichtem Sanssouci, zu Klaviermelodien schmachtet die Königin (Viola Morlinghaus) königlich in ihrer selbstverfaßten Poesie, während zwei altjüngferliche Tanten tantenhaft glucken und zwei Hofdamen (Antje Siebers und Andrea Naurath) schaurig-schraubig über die Bühne torkeln. Yvonne ist der Anlaß für ihr Gelächter, das zunehmend stilisiert und fratzenhaft wird. Eine der schönsten Balanceübungen ist, wie hier langsam und leise ein herrliches Lachen aus Yvonne herausperlt. Hin- und mitreißend ist es, eine Ohrfeige für die Gesellschaft. Dieses Lachen (das im Stück nicht vorgesehen ist) ist der Schlüssel zur Faszination Yvonnes. Wer sie nicht liebt, ist verblendet. Petra Brändle
Bis 14. 5., verschiedene Termine, zunächst heute bis 9. 4., 20.30 Uhr, Theater zum Westlichen Stadthirschen, Kreuzbergstraße 37, Kreuzberg, Telefon: 7857033
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen