Haartrends bei Männern: Die perfekte Welle
Sie ist zurück: die Dauerlocke! Wer sie trägt und wie sich das mit der Hypermaskulinität bei Tiktok verträgt.
In der Tram zwei Jungs zwischen 16 und 18. Der eine trägt ein weißes Hemd mit Drachenmotiv, der andere ein Baseballcap und Converse. Doch das Interessante an den beiden sind ihre Frisuren. Während dem einen die gewellten Haare wie eine Wasserrutsche über die Stirn fallen, kringeln sie sich beim zweiten über den Cappyrand. Die Jungs haben Locken bzw. Wellen, könnte man jetzt denken. Na und? Nur ob es Naturlocken oder eine Dauerwelle sind, kann man heute nicht mehr wirklich sagen.
Sie haben richtig gehört. Die gute, alte Dauerwelle ist seit einiger Zeit nicht nur bei Großmüttern, David-Hasselhoff- und Rudi-Völler-Ultras angesagt, sondern auch bei Jungs und jungen Männern aus der Generation Alpha und Gen Z. Bloß eben nicht als Minipli-Kringellöckchen wie in den Achtzigern, wo sie jeder sofort durchschaute, sondern lockerer, fließender, natürlicher, ein wenig wie der No-Make-up-Look, der eben doch ein Make-up-Look ist.
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Da ist zum Beispiel dieser Typ mit dichten dunklen Haaren, der für seine Dauerwelle extra acht Stunden von Wien nach Baden-Württemberg gefahren ist. So erzählt es sein Friseur im Instagram-Video, während er eine chemische Tinktur über die Wickler träufelt, die bei der Umformung der Haare hilft. Bei Tiktok wiederum ruft ein blonder Typ mit Leonardo-Di-Caprio-Frisur die Dauerwellen-Ära aus und lässt sich einen ganzen Satz orangefarbene Papilotten in seine aalglatten Haare drehen.
Gibt man Begriffe wie „Männerdauerwelle“, „Male Perm“ oder „Merm“ bei Social Media ein, werden einem unzählige solcher Videos vorgeschlagen. Die Frisur, die dort am häufigsten präsentiert wird, nennt sich im Hairstyle-Milieu Tiktok- bzw. Brokkoli-Frisur, weil die Seiten kurz sind und sich die Haare nach oben hin röschenhaft aufbauschen. Die britische Ausgabe der GQ nannte sie kürzlich einen der größten Haartrends 2025. Doch ein solcher Brokkoli auf dem Kopf ist zumindest hierzulande in den meisten Fällen nur mit einer Dauerwelle zu erreichen. Schätzungen zufolge haben in Europa nur etwa 15 Prozent von Natur aus Locken, welliges Haar immerhin rund 40 Prozent.
Die Dauerwelle – eine Heldenreise
Ausgelöst wurde die neue Dauer-Welle übrigens wie so vieles in jüngerer Zeit in Ostasien. Dort wurden die künstlichen Locken zuerst von K-Pop-Stars und Schauspielern getragen. Die verschiedenen Dauerwellarten heißen „Korean Soft Waves“, „Messy French Curls“ oder „Teddy Perm“. Darüber hinaus gibt es unzählige andere Bezeichnungen, die sich mal auf den Durchmesser der Locke und mal auf die Komposition von Wellenart und Haarschnitt beziehen.
Glaubt man den Friseurfluencern, macht lockiges oder welliges Haar einen Mann um ein Vielfaches attraktiver. Als weitere Vorteile zählen sie auf, dass die Curls Geheimratsecken und erste lichte Stellen verdecken und nach dem Waschen nicht groß gestylt werden müssten.
Aber wie verträgt sich dieser neue, alte Schönheitstrend mit dem hypermaskulinen Auftreten der jungen Männer bei Social Media? Erstaunlich gut. Schon alleine die Videos, in denen die Jungs ihre Haartransformation präsentieren, sind eine eigenwillige Mischung aus hart und zart. Und sie funktionieren wie eine Heldenreise: Junger Typ mit platter Frise betritt einen Barbershop, muss dort den Gestank der Haarumwandlung überstehen und verlässt den Shop danach schöner und selbstbewusster als je zuvor.
Gleichzeitig wird versucht, die frappierende Ähnlichkeit mit dem Friseurbesuch der eigenen Oma zu kaschieren. Statt nettem Geplauder gibt es in den Videos Gangsta-Rap und martialische Haarschneidemaschinen, die mit harten Kanten gegen zu viel Softheit anrasieren. „Never Fight a Man with a Perm“ – Kämpfe niemals mit einem Mann mit Dauerwelle, sang 2018 schon die britische Postpunk-Band Idles. Und hat damit vermutlich recht.
Zugleich ist die männliche Dauerwelle neben Botox und lackierten Fingernägeln nur eine von vielen Verschönerungsmaßnahmen, bei denen sich die Geschlechter längst angeglichen haben. Jetzt müsste diese schöne neue Gleichheit bloß auch endlich mal für die wirklich wichtigen Dinge gelten.
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