HSV im Aufwind: Auferstanden aus Ruinen
Beim Spiel gegen Hannover 96 zeigt der HSV, dass er auch ohne große Namen gewinnen kann. Da wirkt der Traum vom Wiederaufstieg gleich weniger absurd.
Da spielten zwei Mannschaften, die das Potential zu viel mehr haben, als es die Tabelle ausweist. Und da traten zwei Vereine auf, die alles mitbringen, um in der Bundesliga eine gute Rolle zu spielen. Weil beide Klubs über Jahre aber Fehler an Fehler gereiht haben, blieben nach dem 2:1-Sieg des HSV am Samstagmittag nur kleine Erfolge im großen Maßstab: Die Hamburger können mit einem Sieg am Sonntag in Rostock den Relegationsrang sichern. Hannover beendet die Saison ohne Druck gegen Ingolstadt und will dann mit einem Nachfolger für Noch-Trainer Christoph Dabrowski und deutlich mehr Geld wieder angreifen.
Das Aufeinandertreffen der Traditionsklubs umgab die prickelnde Atmosphäre großer Spiele. 57.000 Zuschauerinnen und Zuschauer im ausverkauften Volkspark zeigten, was in Hamburg möglich sein könnte. Darunter ein voller 96-Fanblock in Rot mit 2.700 Menschen, der dazu beitrug, dass diese Partie des 33. Spieltages ein Fußballfest wurde.
Robert Glatzel, HSV
HSV-Trainer Tim Walter umarmte im Jubelkreis nach dem Abpfiff jeden seiner Profis und wirkte stolz auf seine Mannschaft. Später sagte er: „Wir wollen aufsteigen.“ Am 10. April wäre er dafür ausgelacht worden. Der HSV hatte 0:1 in Kiel verloren und stellte sich auf eine fünfte Spielzeit in der Zweiten Liga ein. Walter selbst und Sportvorstand Jonas Boldt, der ihn eingestellt hat, standen im Mittelpunkt der Kritik. Man kennt das aus Hamburg.
HSV mit No-Name-Kader
Sportlich traute dem HSV niemand mehr etwas zu vor vier Wochen. Daraus hat die Mannschaft eine robuste Mentalität entwickelt. „Wir hatten nichts mehr zu verlieren, alle hatten uns abgeschrieben. Jetzt wollen wir es allen zeigen“, sagte Robert Glatzel. Seine Saisontreffer Nummer 20 und 21 ermöglichten am Samstag den vierten Sieg nacheinander.
Nominell hat Walter die schwächste HSV-Mannschaft der Zweitligajahre beieinander; da ist kein Holtby, kein Ulreich, kein Hunt mehr. Die deutlich namhaftere Bank besaß Hannover. Und ja, der HSV wackelte ordentlich zu Beginn und nach dem 2:1 durch Sebastian Kerk, es war spürbar, dass er viel zu verlieren hatte. Aber – anders als in den Vorjahren blieb das Konstrukt stabil genug, um zu gewinnen. Walter sagte: „Wir sind von uns überzeugt, mutig und leidenschaftlich, und genau das wollen die Leute sehen.“ Dafür stehen die Eigengewächse Anssi Suhonen und Josha Vagnoman.
Überragender Spieler beim 15. Saisonsieg war indes Bakery Jatta. Bis die Socken qualmten, rannte der Rechtsaußen und bereitete beide Tore vor. Ganz nebenbei sind HSV-Spiele höchst unterhaltsam, weil vorn immer etwas passiert. Hinten auch. Der Spielaufbau ist nichts für schwache Nerven. Weil der lange Ball verboten und die individuelle Klasse von Schonlau und Co. überschaubar ist, wird fast jede Kombinationskette unter Druck zum Flirt mit dem Desaster.
Die vergangenen vier Siege lassen den HSV die 33. Runde mindestens als Dritter abschließen. In diesen entscheidenden Duellen keine Federn zu lassen, hätten ihm nur wenige zugetraut. Sollte Walters Team Rostock unbeschadet überstehen, wären die ersten Geister der Vergangenheit schon vertrieben. Der Auftritt vom Samstag beinhaltete schon mal auf mehreren Ebenen Werbung für den Trainer. Es gab eine lange Verabschiedung samt Ehrenrunde. Offenbar wächst da wieder etwas zwischen Profis und Fans.
Den Schritt in eine bessere Zukunft hat Hannover 96 vor sich – es wird wieder zu einem großen Umbruch kommen, diesmal unterfüttert mit frischem Geld, wie Vereins-Chef Martin Kind ankündigte. Bevor die ganz großen Ziele ausgerufen werden, mahnte Torwart Ron-Robert Zieler allerdings zur Vorsicht: „Etwas Demut täte uns ganz gut.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett