HANDBALL: Ein Blinken über der Stadt

Nach dem Sieg in der Champions League holt der THW Kiel durch einen 27:24-Sieg in Großwallstadt auch den Meistertitel in der Bundesliga. Am Samstag wurde das Team frenetisch gefeiert.

Die Kieler Spieler Filip Jicha (l.) und Daniel Narcisse freuen sich über den Champions-League-Pokal. Bild: dpa

Auf dem Platz vor Kiels Hauptbahnhof steht ein junger Mann und liest laut aus der Bibel vor. Dann erklärt er, dass es eigentlich nur eine Regel gibt, die Jesus Christus aufgestellt hat. Das sei die mit der Liebe - sie sei das Entscheidende.

Wir sind später als geplant in Kiel angekommen, weil der Zug aus der großen Stadt, die seit 1983 in keiner relevanten Sportart einen Titel gewonnen hat, in die kleine Stadt, die alle Nase lang einen Titel gewinnt, oder, wie in dieser Saison, mehrere, die doppelte Zeit brauchte.

Es sah, und das ist nicht lange her, so aus, als versinke der THW nach Jahren der Triumphe in einem Skandal. THW-Manager Uwe Schwenker hatte zu vorgerückter Stunde, so behaupteten Ohrenzeugen, verraten, dass Siege in der Champions League nur durch Zahlungen an Unparteiische zu erreichen sind. Schwenker und Trainer Zvonimir Serdarusic sind nicht mehr da, Spieler wie Nikola Karabatic, den man für den besten Handballer der Welt und unersetzlich gehalten hatte, und dessen Freund Vid Kavticnik gingen. Stefan Lövgren hörte auf. Genau in dieser Situation holt der THW das Double: Meisterschaft und Champions League.

Der neue, stets grimmig blickende Trainer Alfred Gislason soll die Mannschaft noch heißer machen können als Serdarusic, was schwer vorstellbar ist. Und Filip Jicha, der nach zwanzig Minuten eine so rote Birne hat, dass man fürchtet, sie platzt, spielt noch 40 Minuten damit und wirft dabei unglaublich viele Tore. Und dann dieser Franzose im Tor, Thierry Omeyer, der an einem guten Tag alles und an einem nicht so guten fast alles hält.

THW-Sponsor Provinzial hatte für die Meisterfeier Autonummern aus Papier fertigen lassen: "KI - CLDM 2010". Viele tragen die Autonummern auf dem Kopf. Es gibt auch Sonder-Trikots auf denen vorne "Totaler Handball Wahnsinn" steht und hinten die Mannschaftsaufstellung. Der Dresscode an diesem Abend verlangt schwarz-weiß, "so sehen Sieger aus", singen sie auf der Bühne und dann singen es alle.

"Lustig, lustig trallallallala", trällern die NDR-2-Nasen, die das Publikum bis zum Eintreffen der Mannschaft bei der Stange halten sollen. Ein paar der Leute, die hier stehen, haben rote Gesichter. Kann vom Bier kommen, aber auch von der Sonne am Samstag, die den Kielern nur selten bescheint. Es sind viele junge Leute da, Mädchen, die Söhnlein Brillant trinken, und, weil der Lärm groß ist, in ihre Mobiltelefone brüllen.

Um 21.35 Uhr wird der Jubeln lauter. Ein Flugzeug kreist über der Stadt, heftig blinkend. Da sitzt die Mannschaft drin. Der Flieger dreht eine Runde, alle winken.

Der HSV Hamburg wird verspottet in Wort und Gesang und das heißt, dass sie in Kiel doch die Hosen voll hatten. Nun grölen alle fröhlich: "Kling Glöckchen klingelingeling, kling Glöckchen kling, Tee-Ha-Wee ist Meister, Hamburg ist nur Zweiter, Flensburg ist nur Dritter, oh wie ist das bitter." Und das gleiche mit Barcelona und Ciudad Real für die Champions League. Es kommt "Zicke zacke hoi hoi hoi" und spätestens jetzt merken wir, wo wir hier sind. Aber der Vorwurf der Provinz ist selbst provinziell.

Dann spielen wir "wer nicht hüpft, der ist nicht Meister", und auch die besseren Leute im Sinalco- und im Warsteiner-Bus müssen hüpfen. Die Meisterfeier ist viel unorganisierter als das Spiel des THW. So muss das sein. Kein Sponsor drängt sich vor, der Handball gehört sich und der Stadt.

Gegen 22.45 Uhr kommt das Blinklicht der Polizei näher, es wird gerade dunkel. Dann übertönen die Kieler den NDR mit "Oh wie ist das schön", und die Mädchen steigen auf die Schultern der Jungs, weil nun die Spieler kommen. Die Jungs schwanken ein wenig, die Mädchen halten ihre Mobiltelefon-Fotoapparate hoch. Ein Flaschensammler mit Einkaufswagen kommt nicht durch. Filip Jicha hat den Champions League-Pokal. Er trägt, wie der Rest der Mannschaft, einen Matrosenanzug.

Dann müssen wir los, weil der letzte Zug von der kleinen, sportlich erfolgreichen Stadt, in die große, sportlich erfolglose um 23.21 Uhr fährt.

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