Gus Van Sants neuer Film "Milk": Ein Homosexueller mit Macht
In "Milk" kämpft Sean Penn als schwuler Politiker für die Rechte von Homosexuellen. Und Regisseur Gus Van Sant vergleicht seinen Helden Harvey Milk - natürlich - gerne mit Obama.
An der entscheidenden Stelle des Films "Milk" von Gus Van Sant kommt es zu einem Wortgefecht zwischen dessen Hauptfigur, dem ersten offen schwulen politischen Amtsträger in den USA, Harvey Milk, und seinem Widersacher im Stadtrat von San Francisco und späteren Mörder, Dan White. White, der neidisch auf Milks politische Karriere ist, wirft ihm vor, er habe es ja leicht als Politiker, denn er habe ja ein spezielles Anliegen. Indem er für die Rechte von Homosexuellen kämpfe, sei er leicht identifizierbar und das sei eben publikumswirksam. Milk widerspricht heftig. Dieser Kampf sei existenziell, es ginge darum, Leben zu retten. Und er berichtet von Selbstmorden und dem unerträglichen Leben unter dem Zwang zur Geheimhaltung und der Rechtlosigkeit zwischen Stereotypisierung und Gewaltdrohung.
Das war in den mittleren 70er-Jahren. In den USA wie in Deutschland gab es kaum offen schwule Prominente, geschweige denn Politiker, aber auch die Linke und die Subkulturen waren noch weitgehend homophob, was sich dann geringfügig in der Folge von Glamrock und in Teilen der Punk-Kultur besserte. Heute, so wäre mancher versucht zu sagen, hätten sich diese Probleme doch weitgehend erledigt. Schwule Bürgermeister in allen relevanten Großstädten und eine queerkulturell-begeisterte Szene bis hinein in den Mainstream: Von Almodóvar bis Anne Will, vom "L-Word" bis zur "Lindenstraße", von Comedy bis bildender Kunst ist die Gegenwartskultur durchzogen von lesbischen und schwulen Themen, repräsentiert von schon lange nicht mehr stereotypisierbaren AkteurInnen.
Doch das ist nur eine Seite. Im Januar dieses Jahres schlugen Verbände und AktivistInnen Alarm. Die alltägliche Gewalt gegen Schwule und Lesben hat sich in Berlin verdreifacht. Rund 20 Prozent der Berliner Jugendlichen, so ergaben neue Umfragen, halten Homosexualität für eine Krankheit, wobei die muslimischen und die aus der ehemaligen Sowjetunion eingewanderten Jugendlichen mit ungeheuerlichen 40 Prozent für einen besonderen Anstieg der Alltags-Homophobie gesorgt zu haben scheinen. Einer der brutalsten Übergriffe des neuen Jahres passierte ausgerechnet in Schöneberg, dem schon seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts an schwulen und lesbischen Traditionen reichen Stadtteil.
Auch "Milk" von Gus Van Sant reagiert auf Backlash-Trends in der amerikanischen Gegenwart, wie massiv homophobe Kampagnen gegen gleichgeschlechtliche Ehen, interessiert sich aber nicht nur für nicht totzukriegende Ressentiments, sondern vor allem für das eigene politische Selbstverständnis. Es ist kein Zufall, dass "Milk" während des Obama-Wahlkampfes gedreht wurde und unmittelbar nach dessen Erfolg in die Kinos kam. Seitdem lässt Van Sant, auch bei seinem Besuch zur Berlinale, keine Gelegenheit aus, seinen Helden Harvey Milk mit Obama zu vergleichen. Im Film erklärt Milk, noch während der ganz frühen Phase schwuler Politisierung, die Analogie zum afroamerikanischen Widerstand. So wie schwarze AktivistInnen auf den unteren Levels politischer Repräsentation nach und nach immer mehr wichtige Ämter erobert hätten, so müssten es auch die Schwulen und Lesben machen.
Die Minderheit, die in dieser Idee als politisches Subjekt geboren wurde und seitdem ein nicht unkompliziertes, aber auch nicht gerade erfolgloses Leben geführt hat, ist deswegen so stark, weil sie einerseits auf engen Beziehungen unter ihren Leuten basiert: die sind schnell mobilisierbar und vertretbar, das Verhältnis des Amtsinhabers Milk zu seiner Community ist eines großer persönlicher und räumlicher Nähe. Doch was Milk andererseits vom bloßen Anführer unterscheidet, ist, dass er das zweite Element erfolgreicher Minderheitenpolitik beherrscht: das Eingehen von Bündnissen, vorzugsweise mit anderen Minderheiten. So hilft er der Bierkutscher-Gewerkschaft bei dem Boykott einer unfairen Biermarke durch die schwule Community, dafür werden offen schwule Bierkutscher eingestellt. Die Geschäftsleute des Castro-Viertels in San Francisco werden entsprechend einbezogen und bald ist das Ziel erreicht: "Ein Homosexueller mit Macht!", so Milk im Moment des Triumphes.
Genau diese Minderheitenpolitik ist nur möglich, weil Milk Minderheitenrechte immer wieder an universelle Rechte bindet. Alle schwulen und lesbischen Forderungen sind in ihrer Partikularität deswegen politisch relevant, weil sie Fälle von universellen Rechten sind. Diese Universalität ist der Resonanzraum von Milks charismatischen Auftritten. Für Van Sant ist genau dieser Gedanke in der Obama-Kampagne und ihrem Erfolg wiederbelebt worden. Zugleich bleibt ein bitterer Nachgeschmack: Ausgerechnet in Kalifornien ist durch ein am Tag der Präsidentschaftswahl abgehaltenes Referendum das Recht homosexueller Paare zu heiraten, wieder einmal gekippt worden. Und auch das wäre vielleicht nur ein kleiner Rückschlag auf einem im Grunde unaufhaltsamen Weg zur vollständigen Gleichstellung, wenn es nicht gerade die afroamerikanischen Stimmen gewesen wären, die das Zünglein an der Waage bei einem knappen Ausgang gewesen waren, indem sie mit Christenspinnern und Republikanern aus Orange County mehrheitlich gegen dieses Recht gestimmt hatten. Auch Obama war immer auffällig still und neutral gewesen, wenn es um schwule und lesbische Ehen gegangen ist.
Nun ist es eine kitschige Projektion, ausgerechnet von Benachteiligten besonders weises politisches Verhalten zu erwarten. Dass Muslime in Deutschland allen möglichen Vorurteilen und (oft rassistischen) Benachteiligungen begegnen, macht sie nicht von Haus aus zu besseren Bündnispartnern der Schwulen und Lesben. Im Gegenteil: Ihre Abwehr kreiert einen Neotraditionalismus, der Homophobie einschließt. Doch "Milk" vertritt die Idee, dass an der Mobilisierung des Gemeinsamen von so unterschiedlichen Minderheiten wie überwiegend aus der Mittelschicht stammenden Schwulen und Lesben und überwiegend armen, proletarischen MigrantInnen oder Sklavennachfahren kein Weg vorbei führt - und möglich ist. Das passiert nur nicht durch marxistische Zwangsläufigkeiten, sondern muss inszeniert und produziert werden. In Obama sieht Van Sant einen Politiker, der von der Universalität partikular verweigerter Rechte aus, diese neu formuliert und einfordert.
Van Sant hat die Geschichte des Harvey Milk geradlinig und ohne den kinematographischen Ehrgeiz erzählt, der seine Filme in den letzten Jahren ausgezeichnet hat. Das ebenso populäre wie langweilige Biopic-Format wird nur an einer, allerdings entscheidenden Stelle gebrochen. Es gibt hier keine Kindheit, die individualpsychologisch Späteres erklären soll. Harvey Milk ist bereits 40, als er den Entschluss fasst, sein bisher verstecktes schwules Leben zu ändern und nach San Francisco zu gehen. Damit beginnt der Film und er endet sieben Jahre später mit Milks Tod.
Kurz davor denkt der noch einmal über sein Anliegen und sein Auftreten nach - nach einem Besuch von Puccinis "Tosca". Angedeutet wird im folgenden Monolog auch eine spezifisch schwule Artikulationsfähigkeit, die sich eben nicht nur durch das politische Erheben der Stimme auszeichnet, sondern darüber hinaus von der ästhetischen Erfahrung mit der Schönheit eines gebrochenen, öffentlichen Sprechens, Auftretens geführt sein will, die Milk mit genau dieser Oper verbindet. Die Stimmen, die das freie, öffentliche Sprechen hörbar macht, sind nur hörbar, wenn sie verschieden sind, wenn sie nicht nur das Anliegen, sondern auch den Körper, der sie hervorbringt, mit auf die Bühne bringen.
Die Dialektik der Universalität der Demokratie besteht eben darin, dass Gleichheit (der Rechte) die einheitliche Form von etwas ist, dessen Inhalt durch konkrete Verschiedenheit zum Ausdruck gebracht werden muss. In der "Tosca" spielt eine Sängerin eine Sängerin. Der so überaus authentisch wirkende Harvey Milk, der sich zu Beginn der Filmhandlung auch ex nihilo selbst erfindet, sympathisiert mit ihr in diesem Subtext des Filmes, weil er als engagierter, Interessen vertretender Community-Politiker eine öffentliche Figur als sein Sprachrohr erfunden hat, einen Politik-Star. Ein Sänger als Sänger.
Mit Sean Penn hat Van Sant einen die halbe Miete einfahrenden Charismatiker und Energetiker gecastet, der diese Spannung aus authentischen Anliegen und einer Figur, die sich selbst und eine dazugehörige Öffentlichkeit aus dem Hut zaubert, auf hoher Voltzahl auskostet. Man kann sich auf die demokratische Interessensallianz der Minderheiten so wenig verlassen wie überhaupt auf die Demokratiefähigkeit der Demokratieteilnehmer. Die Geschichte der Minderheit als Modell eines linken, demokratischen Politiksubjekts will immer wieder neu inszeniert und erfunden werden. Erfindung meint nicht postmoderne Willkür, sondern genau die Mischung aus irren Wünschen und Spaß an der Pragmatik, die heutzutage im Trotteljargon "Vision" heißt. Es gibt diese funkelnde, charismatische Überzeugungskraft in den Augen von Sean Penn nur, weil Harvey Milk etwas von Bühnen und ihren Gesetzen verstand: Er spielt das auf der Rathaustreppe einem Mitstreiter überzeugend vor. Gerade das völlig berechtigte, wahrhaftige Anliegen muss besonders gut gespielt werden.
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