piwik no script img

Gummiharz im Weihrauchkessel

Das Bibel-Freilichtmuseum Nijmegen bietet keine Nightshow mit Sternenschweif, kein Bethlehem in Leichtbauweise – aber es duftet derzeit wie in biblischen Zeiten  ■ Von Thomas Fechner-Smarsly

Wann haben Sie eigentlich zuletzt Ihre Nase in das dicke Buch der Bücher gesteckt? Ist vermutlich schon ein bißchen her. Aber wonach roch es denn? Keine Ahnung?? Ein bißchen klamm kam es Ihnen schon vor, aha – stockfleckig vielleicht? So recht schimmelig, würden Sie sogar sagen!

Na, Hand aufs Buch, welche Blütendüfte sollten dem welken Blattwerk einer Familienbibel auch schon entströmen. Aber wenn wir nun ein paar Flacons für Sie öffnen würden, und Ihnen Namen zu Ohren kämen wie Weihrauch und Myrrhe, Zimt und Balsam, Koriander und Rosmarin – steigt da nicht auch etwas in Ihrer Nase auf? Irgendein zarter innerer Duft der Erinnerung an ferne Kindheitstage, der sich ganz allmählich verdichtet, vielleicht zu einem Krippenbild ...

Im Schatten der Kiefern und Koniferen

Falls nicht, verhalten Sie sich wie folgt. Sie setzen sich tunlichst bald in irgendeinen fahrbaren Untersatz und begeben sich als büßende Maßnahme gegen unchristliches Vergessen ins befreundete Grenzgebiet West. Genauer gesagt nach Nijmegen, ganz genau gesprochen: fünf Kilometer südlich davon nach Heilig Land Stichting, um dort an einem hochsommerlichen Nachmittag, wie sie gerade in Mode sind, das dort im Schatten hübscher Kiefern und anderer Koniferen weitläufig gelegene „Bibel- Freilichtmuseum“ zu besichtigen.

Das gibt es tatsächlich. Aber erwarten Sie bitte kein christliches Disneyland, kein Bethlehem in Leichtbauweise, keine Nightshow mit Sternenschweif und grellbunt verkleideten, morgenländischen Weisen, die Ihnen Zuckereien zu horrenden Preisen um die Mäuler schmieren. Es geht sehr viel dezenter zu, auch pädagogisch wertvoller. Wenn Ihnen die verschiedenen Stationen im Freien von Kana bis Nazareth allerdings nicht zusagen, betreten Sie nach Entrichtung des erhobenen Obolus sogleich das Hauptgebäude und verfügen sich in die eigens für Wechselausstellungen hergerichteten Seitenräume. Dort werden Sie sich schnell einer dezenten Mischung von allerlei Wohlgerüchen ausgesetzt sehen, die nicht nur Ihre historische Neugier wecken, sondern gewiß auch ihr optisches wie olfaktorisches Vergnügen erregen werden. Was man Ihnen dort unter die Nase reibt, handelt – unter dem Titel „Parfüm in der Welt der Bibel“ durchaus nicht literarisch eng aufs angezeigte Thema beschränkt, sondern geographisch weit gefaßt – von den Geruchsprodukten jener antiken Region des Nahen Ostens und deren exotischer Präparierung.

Als Epiphanie anderer Sitten zu anderen Zeiten bemerken Sie sogleich jene kühle ägyptische Schöne mit der Karaffe in der Hand, die auf ihrem Kopf – ja was eigentlich trägt?

Allegorien des Wohlgefühls

Es handelt sich – so entnehmen wir, mühsam das Niederländische entziffernd, dem Ausstellungsbegleiter – um einen Fettkegel, vermutlich handgeschöpft. In dessen ausgelassenem Zustand schwammen zuvor Blütenblätter oder Pollen, welchen auf diese Weise ihre Duftessenzen extrahiert wurden. Wenn Sie freilich mit der technischen Seite der Duftstoffbereitung wie Mazeration oder Enfleurage nicht weiter behelligt werden möchten, wenden Sie sich lieber jener Wandmalerei aus Pompeji zu, auf welcher mehrere Putti – ganz wie die fleißigen Heinzelmännchen – in irdenen Krügen stoßen und stampfen, rühren und manschen, indes das schöne Fräulein am linken Bildrand, die Fertigstellung des Gebräus sehnsuchtsvoll erwartend, den Arm mit dem Pokal schon ausstreckt. Eine Allegorie des Wohlgefühls und seiner himmlischen Herkunft.

Aber vor den Luxus der Schönheit haben die Götter bekanntlich die Zweckmäßigkeit und den Nutzen gesetzt – und dabei vornehmlich an sich selber gedacht. Milde stimmen ließen sie sich nämlich bei den alten Römern durch Rauch – per fumum –, der vorzugsweise von verschiedenen Harzen herrührte. Diese verbrannte man in eigens dafür vorgesehenen Gefäßen, ein beliebtes Ritual vor allem bei Opferungen und Beerdigungen. Auch die traditionelle Salbung der Lebenden und der Toten, der Mumien und der Könige, verdankte sich einem ganz praktischen Gedanken: den Körper in jenen ariden Regionen vor der Austrocknung zu schützen und, als Nebeneffekt, auch noch dergestalt zu behandeln, daß dessen Ausdünstungen an Attraktivität zunähmen (Ihre Avon-Beraterin erzählt Ihnen gerne mehr).

Auch Weihrauch und Myrrhe

Die frühen Christen, noch ganz in ihre antihedonistischen Katakomben zurückgezogen, maßen alldem zunächst keine höhere Bedeutung bei und waren für das Duftuniversum um sie herum fürs erste immun. Daß die Weihbischöfe ihre mit Gummiharz gefüllten Weihrauchfässer schwenkten oder von Meßdienern unter Aufsagen von Litaneien schwenken ließen, ist eine spätere Erfindung, wie auch die Namen derer, die das himmlische Kindlein so reich beschenkten, einer Legende aus dem 8. Jahrhundert entstammen. Unter den Schätzen Caspars, Melchiors und Balthasars fand sich bekanntlich nicht nur Gold, sondern auch Weihrauch und Myrrhe. Man kann daher auf den immensen Wert solcher Stoffe zu biblischen Zeiten schließen. Vielleicht (wir wagen eine Hypothese) handelte es sich damals in Bethlehem lediglich um ein paar wohlhabende Krämer, die mit ihrer Karawane in der Nähe des heiligen Stalles haltmachten und kurz reinschauten. Oder aber um eine Abordnung jenes Nabatäer genannten Beduinenstammes, der damals den Handel mit den Duftstoffingredienzen auf dem nicht ungefährlichen Transport aus Indien und von der arabischen Halbinsel kontrollierte.

All das wird dem erfreuten Besucher auf durchaus kurzweilige Weise nahegebracht, praktisch unterstützt von allerlei Gerätschaften – manches antik, vieles in Nachbildungen –, die der Parfümbereitung, -verbreitung und -verwahrung dienten. An eigens mit einem Löchlein versehenen Botanisierkästchen läßt sich neben den erwähnten auch der Duft von Sandelholz oder Styraxbaum, Myrte oder Zistrose erschnuppern. Schließlich erläutern Inschriften und illuminierte Bücher so manches – wie etwa jenes zauberhafte (natürlich nur in einer Kopie vorgestellte) „Brevarium Grimani“, in dem Magdalena mit dem Salbengefäß hantiert (und wir lesen alle noch einmal Joh. 12.3) oder Maria im Himmel ihre Fürbitte mit dem Weihrauchkesselchen vorbringt. Wir aber wissen es nun längst besser: Auch die christliche Geste verdankt sich oft heimlich dem heidnischen Brauch, auch im vorgestellten Paradiese riecht's zum Himmel.

„Parfüm in der Welt der Bibel“. Bijbels Openluchtmuseum. Heilig Land Stichting. Bis zum 30. Oktober, täglich von 9 bis 17.30 Uhr. Tel.: 0031-80-22 98 29

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen