Guido Westerwelle: Die Ehe tut ihm gut
Früher kurvte er mit dem Guidomobil durch die Gegend und trug die Zahl 18 unter seinem Schuh. Nicht zuletzt auch durch seinen Lebenspartner ist Guido Westerwelle ruhiger geworden.
Es ist fast der Clou dieser Bundestagswahlen überhaupt, dass da eine Frau als Chefin bestätigt wurde, eine, die ihren Mann nicht einmal zu den allermeisten Empfängen mitzunehmen pflegt; und dass da ein Mann gewinnt, der offen schwul lebt und am Dienstag in der Bild-Zeitung pseudoerstaunt gefeiert wurde mit der Schlagzeile: "Wer jubelt da an seiner Seite?"
Kurz nach Gründung der Bundesrepublik reichte ja noch ein Raunen, um einen Mann zu erledigen. Als man den katholischen Politiker Heinrich von Brentano loswerden wollte, ließ man in des Kanzlers Ohren das Gerücht träufeln, der sei doch ein warmer Bruder. Konrad Adenauer soll darauf gesagt haben: "Also wissen Se, solang der mich nit anpackt, isset mir ejal."
Es waren jene Jahre der deutschen Republik, die als die Ära des Wirtschaftswunders gelten - und es waren falsche Fuffziger. Homosexuell zu sein bedeutete ein ewiges Versteckspiel und Angst vor Inhaftierung, denn es galt noch die Nazifassung des Paragrafen 175.
Sechzig Prozent der erwachsenen Deutschen von heute kennen diese Atmosphäre christlich-verklemmter Aversion gegen Frauen, die kein Frauchen sein wollten, und Männer, die nicht heterosexuell zu sein schienen, noch aus eigenem Erleben.
Guido Westerwelle musste allerdings schwer an sich arbeiten, ehe die Wählerschaft in ihm einen ernsthaften Kandidaten für höchste Regierungsposten erkennen wollte.
Schuhsohlen mit der Zahl 18 versehen, Fahrten mit dem neckischen Guidomobil, die Neigung zum Beachvolleyball (statt Fußball), die Stimme einst meist so grell, ohne Mikrofon schon zehn Zentimeter hinter den Lippen tonal verebbend: Das waren Signaturen, die ein gewisses Publikum vielleicht goutierte, dem Rest aber auf die Nerven ging, mindestens dies.
Was sich verändert hat, notierten Beobachter auch korrekt: Dass sein Lebensgefährte Michael Mronz ihn ruhiger gestimmt habe, ja, ihn berate, vor allem, was dessen Bild in der Öffentlichkeit anbetrifft. Man könnte sagen: Ihm ging es wie heterosexuellen Singles, die durch eine Liebesbindung zu einer gewissen Ruhe finden konnten.
Westerwelle, das mag das Geheimnis seines aktuellen Erfolgs sein, hat seine Post-Coming-out-Pubertätsflausen abgeschüttelt, er geht öffentlich inzwischen als erwachsen, gereift durch. Auch auf sein Konto, mag man loben, geht zurück, dass degoutante Moralen wie im Deutschland der Nachkriegszeit zerbröselten - Angela Merkel und er sind das sittlich erstaunlichste Politikerteam der Nachkriegszeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid