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Günstige Winde für rechten Kurs

■ Keine Schonfrist für Jacques Chirac: Gewerkschaften, linke Parteien, aber auch Konservative erwarten vom neuen franzö- sischen Präsidenten schnelle Erfolge.

Günstige Winde für rechten Kurs

Neben dem alten Mann, den er in den nächsten Tagen im Pariser Élysée- Palast ablösen wird, absolvierte der 62jährige Jacques Chirac gestern seinen ersten Auftritt. Gemeinsam mit François Mitterrand begrüßte er am Arc de Triomphe die Staatschefs aus der ganzen Welt und nahm die Parade zum 50. Jahrestag der deutschen Kapitulation ab. Günstige Winde verschafften dem frisch gewählten Präsidenten die Gelegenheit, wie ein Jugendlicher aufzuspringen und galant den zu Boden gewehten Schal der scheidenden First Lady aufzuheben.

Als der Krieg zu Ende ging, war Chirac noch nicht den Kinderschuhen entwachsen, Soldat wurde er erst ein Jahrzehnt später, als Algerien um seine Unabhängigkeit kämpfte. Sein Vorgänger hatte 1945 bereits Jahre als deutscher Gefangener, als Kollaborateur und als Résistant hinter sich. Die Lichtgestalt jener dunklen Jahre französischer Geschichte, der General Charles de Gaulle, freilich bestimmte die Lebenswege beider späterer Präsidenten. Für Mitterrand, den Sozialisten, wurde „der General“ der wichtigste politische Gegner, dem er schon früh – bei den Präsidentschaftswahlen von 1965 – einen empfindlichen Schrecken verpaßte. Und Chirac führt de Gaulle noch heute bei jeder Rede im Munde.

Nach 21 Jahren Unterbrechung, steht mit Chirac wieder ein Neogaullist an Frankreichs Spitze. Einer, der die Größe des Landes, seine Rolle als Weltmacht und die Sorge um den Zusammenhalt der Nation ganz weit oben auf der Prioritätenliste ansiedelt. Nach 30 Jahren politischer Tätigkeit – als Präsidentenberater, als Minister verschiedener Ressorts, als zweifacher Ex-Regierungschef, als Bürgermeister, als Präsidentschaftskandidat – ist Chirac beileibe kein Anfänger mehr. Knapp eine Stunde nach dem Bekanntwerden seines Sieges stellte sich Chirac vor die jubelnde Menschenmenge im Rathaus von Paris, dessen Bürgermeister er seit 1977 ist, und eröffnete: „Ich bin der Präsident aller Franzosen.“

Die Mehrheit, die Chirac am Sonntag an das Ziel seines Lebenstraums brachte, ist nicht groß. Sie kam zustande mit den vereinten Kräften des untereinander tief zerstrittenen konservativen Lagers. Bis zum ersten Wahlgang, nur zwei Wochen zuvor, hatte sich die Gunst der Wähler auf drei Kandidaten des bürgerlichen Lagers – Chirac, seinen Parteifreund, den Regierungschef Edouard Balladur, und den erst kürzlich aus der Koalition der Regierungsparteien ausgeschiedenen Nationalkonservativen Philippe de Villiers sowie den Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen verteilt. Die vier Rechten hatten sich monatelang öffentlich bekämpft. Um seine Mehrheit zu bekommen, mußte Chirac die Gegner der Maastrichter Verträge und deren Befürworter unter einen Hut bringen. Er mußte die rechtsextreme Klientel locken, ohne die Liberalen zu vergrätzen. Der politische Spagat zur Mehrheitsbeschaffung führte zu dem bekannten Zickzackkurs: zwischen „ja zu Europa“ und „ein neues Referendum über Europa“, zwischen „nein zu Le Pen“ und „wir brauchen dichtere Grenzen und mehr Sicherheit“.

Der „wichtigste Kampf“ der nächsten Zeit, so Chiracs Bekenntnis vom Wahlabend, sei der gegen die Arbeitslosigkeit, die in Frankreich dramatischer ist als irgendwo sonst in Westeuropa. Von dem schnellen Beginn und dem Erfolg dieser Politik gegen die soziale Ausgrenzung hängt viel ab für Chirac. Von den Gewerkschaften und den linken Parteien darf der Neogaullist keine Schonfrist erwarten. Aber auch bei seinen konservativen Freunden, die mit jeweils anderen Programmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angetreten waren, muß er sich auf Argwohn einstellen.

Rein rechnerisch sind Chiracs politische Möglichkeiten fast unbegrenzt. Die Konservativen verfügen in der Nationalversammlung über vier Fünftel der Abgeordneten, sie haben die absolute Mehrheit in der zweiten Kammer, in den Regionen und in den großen Städten. „Seine Macht ist total, seine Verantwortung läßt kein Pardon zu“, hat der Rechtsextreme Le Pen bereits drohend gesagt.

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