Güllekrise in den Niederlanden: Rechte Güllepolitik
Die rechte Regierung der Niederlande will viele Umweltauflagen für die Landwirtschaft abschwächen. Das gelingt ihr nicht immer.
Nach Berechnungen des Niederländischen Zentrums für Gülleverwertung (NCM) würde sich dieser Überschuss bis 2026 verfünffachen, wenn sich nichts ändert. 400.000 Tankwagenladungen müssten dann entweder exportiert oder professionell und kostspielig verarbeitet werden.
Bemerkenswert daran ist, dass die Novelle ausgerechnet von Landwirtschaftsministerin Femke Wiersma stammt, die der agrarnahen BoerBurgerBeweging (BBB) angehört. Der Aufstieg der 2019 gegründeten Partei vollzog sich vor dem Hintergrund der monatelangen Bäuer*innenproteste 2022, die sich gegen Umweltauflagen richteten und auch im Rest der Bevölkerung Rückhalt fanden.
Seit dem Sommer ist die BBB als Juniorpartnerin Teil einer Rechtsregierung in Den Haag, gemeinsam mit der identitären Partij voor de Vrijheid (PVV), der liberal-rechten Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) und dem konservativen Nieuw Sociaal Contract (NSC).
Weniger Tiere nach Gutsverkäufen
Mit dem Gesetz hält die Regierung an der Absicht ihrer Vorgängerin fest, den Viehbestand deutlich zu verkleinern. Dadurch sollen die Emissionen von Stickstoff und Phosphat gesenkt werden, die sich in der Gülle verstecken. Notfalls enteignet werden sollen landwirtschaftliche Betriebe mit hohem Stickstoffausstoß jedoch nicht mehr.
Vorgesehen ist stattdessen, dass die Höchstzahl der zugelassenen Tiere spürbar sinkt, wenn ein Betrieb außerhalb der Familie verkauft wird: 30 Prozent weniger sind es bei Kühen, 22 Prozent bei Schweinen, 13 Prozent bei Hühnern. Gerade von Landwirten mit hohem Schweine- oder Geflügelbestand gab es deshalb Kritik: Der Stickstoff- und Phosphatüberschuss ist vor allem ein Problem der Rinderhaltung.
Die Branchenvertretung LTO Nederland gab sich entsprechend „verärgert“ über das Vorhaben und verwies auf einen eigenen „Gülleplan“ samt „einschneidender Maßnahmen“. Diesen habe die LTO schon zu Jahresbeginn Wiersmas Vorgänger Piet Adema präsentiert, hieß es. Entscheidendes Element sei, dass „alle Maßnahmen, die der Sektor unternehmen kann und will, untrennbar mit der Verlängerung der Derogation und verbesserten Möglichkeiten der Gülleverarbeitung zusammenhängen“.
Mit „Derogation“ ist die europäische Ausnahmeregelung gemeint, wonach niederländische Bäuer*innen bisher mehr Gülle ausbringen dürfen als ihre Kolleg*innen in anderen Mitgliedstaten. Diese Ausnahme läuft 2026 aus. Fortan muss sich auch Den Haag an die Nitrat- und die Wasserrahmenrichtlinie der EU-Kommission halten. Dass sie sich durch den EU-Rahmen gebunden fühlt, betonte Ministerin Wiersma bereits im Vorfeld der Abstimmung.
„Mit der Faust auf den Tisch schlagen“
Auch Caroline van der Plas, BBB-Gründerin und Galionsfigur, betonte, ohne Eingriffe drohe wegen der Auflagen „aus Brüssel“ ein „erzwungenes Schrumpfen des gesamten Viehbestands“. „Das will ich nicht auf meinem Gewissen haben.“
Damit scheint die Partei mit der Regierungsverantwortung auch in der Realpolitik angekommen zu sein – noch vor nicht allzu langer Zeit hatte die BBB den Wähler*innen versprochen, man werde in Brüssel „mit der Faust auf den Tisch schlagen“.
In anderen Punkten dagegen wird unmissverständlich deutlich, dass die demonstrative Nähe der Regierung zu Bäuerinnen und Fischern – diese werden beispielsweise im Koalitionsvertrag als Garant*innen der Nahrungsmittelsicherheit gerühmt – nicht nur Worte sind.
So sorgte Wiersma, die offiziell Ministerin für Landwirtschaft, Fischerei, Nahrungsmittelsicherheit und Natur ist, Anfang September für Aufsehen: Kurzerhand erklärte sie das bisherige Programm, mit dem jede Provinz selbst für eine Reduzierung ihrer Stickstoffemissionen sorgen sollte, für beendet.
Dieser Schritt passt dazu, dass die Regierung erklärt hat, sie wolle in der Agrarpolitik grundsätzlich eine Wende hin zu den Landwirt*innen vollziehen. Nicht nur, weil diese die erklärte Klientel der BBB sind, sondern auch, weil an ihnen beispielhaft gezeigt werden soll, dass die Politik den von ihr Entfremdeten und Enttäuschten wieder zuhöre.
Schon in ihrem ersten Konzept in Frühsommer kündigte die Koalition an, sie wolle dem Sektor Raum für eigene Modelle geben, um das langwierige Stickstoffproblem des Landes ohne „Regel-Überdruck“ zu lösen.
Greenpeace zieht vor Gericht
Staatssekretär Jean Rummenie spricht von einem „neuen Kurs“, bei dem „Nahrungsmittelsicherheit oben steht“ und „Innovation eine zentrale Rolle spielt“. Den Mitte September präsentierten Plänen des Kabinetts zufolge sollen Bäuer*innen künftig nach eigenem Gutdünken zu Naturerhaltung und Biodiversität beitragen.
Die Regierung will solche Initiativen mit einmalig fünf und danach jährlich mit je einer halben Milliarde Euro stimulieren. Was mit dem „Regel-Überdruck“ gemeint ist, steht außer Frage: Umweltstandards, die im Duktus des Kabinetts unternehmerische Initiative einschränken und durch „Auferlegen von Maßnahmen“ die Nahrungsmittelsicherheit gefährden.
Für Umweltschutzorganisationen ist dieser Schwenk Anlass zur Besorgnis – und zum Handeln. So sammelte Greenpeace mehr als 100.000 Unterschriften für eine nachhaltigere Landwirtschaft und übergab sie Anfang Oktober der zuständigen Parlamentskommission.
Zudem reichte die Organisation am Gerichtshof Den Haag Klage gegen die Regierung ein, die sich zu wenig für die Stickstoffreduzierung einsetze. „Es ist keinerlei Fortschritt zu sehen“, zitierte der TV-Sender BNN VARA Greenpeace-Direktorin Marieke Vellekoop. Am 12. November wird die Verhandlung eröffnet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl