„Guardian“ entlässt Zeichner Steve Bell: Schluss mit lustig
Der „Guardian“ trennt sich vom langjährigen Cartoonisten. Man müsse sparen, heißt es. Aber es gab auch immer wieder Kritik an Steve Bell.
Wer in Bells Karikaturen auftaucht, hat nichts zu lachen – der Betrachter aber umso mehr. Bell nimmt die Regierenden und die Mächtigen aufs Korn, oft mit boshafter Überspitzung. Er zeichnete zum Beispiel den damaligen Premierminister John Major stets als gescheiterten Superhelden, der seine Unterhose über der Hose trägt.
Auch die Nachfolger – der henkelohrige Tony Blair, David Cameron mit Kondom über dem Kopf und die spitznasige Theresa May – wurden nicht verschont. Und Boris Johnson erst recht nicht. Bell zeichnet ihn als Mona Lisa, aber mit Arschgesicht unter dem blondem Haarschopf.
Einige hingegen dürften ganz froh sein, auch im Guardian, dass Bells Vertrag nicht verlängert wird, denn er hat für manche Kontroverse gesorgt. Voriges Jahr durfte sein Cartoon nicht erscheinen, in dem der als Hexenjäger verkleidete damalige Labour-Vize Tom Watson Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu verfolgt. Es ist eine Kritik an Watson und den Linken, die überall in der Labour Party antisemitische Sprachbilder wittern. Bell zeichnete in diesem Fall Netanjahu selbst als antisemitisches Sprachbild.
Bell beklagte „visuelle Prüderie“
Bell wies jegliche semiotische Deutungen oder Interpretationen seiner Werke vor historischem Kontext zurück. „Ich vermute, der wahre Grund ist, dass die Zeichnung gegen eine mysteriöse Blattlinie zum Thema Antisemitismus verstößt“, schrieb Bell an die Chefredaktion. „Das ist irgendwie beunruhigender als die fadenscheinigen Vorwürfe des Antisemitismus.“
Ein anderes Cartoon, das von der Chefredakteurin Katharine Viner kassiert wurde, zeigte Netanjahu und Theresa May bei ihrem Treffen in der Downing Street im Sommer 2019. Zwischen den beiden, im Kamin, stand das Bild von Rouzan al-Najjar mit brennendem Kopftuch. Sie war eine palästinensische Rettungshelferin, die 2018 im Gazastreifen von israelischen Sicherheitskräften getötet worden war, als sie Sanitätsdienst während der Proteste an der Grenze verrichtete.
Die Meinungsredaktion hielt das Cartoon für beleidigend, weil sie in dem bildlichen Akt des „Verbrennens“, der hier mit einem jüdischen Politiker als Täter in Verbindung gebracht wurde, eine Schuldumkehr sah. Bell reagierte wütend. Er habe beim Zeichnen nicht im Entferntesten an den Holocaust gedacht. Im Übrigen sei er besorgt über die „zunehmende visuelle Prüderie“.
Eigentlich hat Bell, der aus London stammt, längst das Pensionsalter erreicht. Er ist 69. Nach seinem Schulabschluss studierte er Kunst im nordenglischen Leeds. Dort begegnete er dem Cartoonisten Kipper Williams und begann ebenfalls zu zeichnen. Nebenbei studierte er auf Lehramt und unterrichtete danach Kunst in Birmingham, bis er den Job nach einem Jahr schmiss und als freier Cartoonist arbeitete.
Johnson muss bangen
Seinen Durchbruch schaffte er mit „Maggie’s Farm“, einer sarkastischen Comicserie über die frisch gewählte Margaret Thatcher. Sie erschien im Londoner Stadtmagazin Time Out und erreichte ein breites Publikum. Das verhalf ihm 1981 zu einer Festanstellung beim Guardian, wo er drei Jahre zuvor abgelehnt worden war. Seitdem wurde Bell zehnmal zum besten englischen Cartoonisten gewählt. Trotzdem muss er nun gehen.
Vor zehn Jahren sagte Bell über politische Cartoons: „Ich bin optimistisch. Cartoons werden gebraucht, weil die Politik so visuell geworden ist.“ Inzwischen hat die New York Times ihre tägliche politische Karikatur eingestellt, weil es Ärger wegen Vorwürfen des Antisemitismus zu einer Zeichnung gegeben hatte. Darin war Netanjahu als Blindenhund mit Davidstern gezeichnet worden.
„Wenn du über deine Herrscher lachen kannst, schneidest du ihnen nicht den Kopf ab“, sagte der ehemalige Tory-Vorsitzende Kenneth Baker einmal. Wenn Bell nun ins Cartoon Museum in der Londoner Wells Street umsiedeln muss, könnte es demnach gefährlich für Boris Johnson werden.
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