Guantánamo-Häftlinge in Deutschland: Wer sich bewegt, hat verloren
Die Koalition will Guantánamo-Häftlinge nicht ohne Einzelfallprüfung aufnehmen. Sie schiebt Verzögerungen der Aufnahmepolitik auf die USA, die nur auf ein deutsches Signal warten.
Was Spanien kann, kann Deutschland noch lange nicht. Ohne besonderes Federlesen erklärte der spanische Außenminister Miguel Angel Moratinos Anfang dieser Woche, Spanien werde fünf weitere als unschuldig geltende Gefangene aus Guantánamo aufnehmen, die nicht in ihre Herkunftsländer zurückkönnten. Sie würden in Freiheit leben, aber einem strikten "System der Überwachung und Beobachtung" ausgesetzt.
In der Bundesrepublik findet sich jedoch niemand in Regierungsverantwortung, der in vergleichbarer Weise bereit ist, den US-Präsidenten Barack Obama bei der Auflösung des rechtswidrigen US-Gefangenenlagers auf Kuba zu helfen.
"Ich halte es für falsch, jetzt einfach eine Zusage zu machen", erklärt etwa der Innen- und Menschenrechtspolitiker der CSU im Bundestag, Michael Frieser. Für die noch rund 190 Häftlinge in Guantánamo seien erstens ihre Heimatländer und zweitens die USA zuständig. Er finde, die Lage habe sich seit vergangenem Jahr, als der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) auch EU-weit gegen eine Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen kämpfte, nicht geändert.
Zwar möge sich Obamas Lage seither dadurch stark verschärft haben, dass der US-Kongress den Zugang der Häftlinge zum US-Festland - außer zu Gerichtsverfahren - untersagt hat. "Aber warum sollten wir ein innenpolitisches Problem der Amerikaner lösen?", fragt Frieser.
Auch die humanitäre Lage der etwa 50 Männer, die fürchten, in ihrer Heimat verfolgt zu werden, und nach Europa wollen, habe sich ja nicht verschärft - im Gegenteil, argumentiert Frieser: "Gerade weil sie eigentlich jederzeit rauskönnten, wenn sie einen Aufnahmestaat fänden", sei die humanitäre Lage doch nun eigentlich entspannter als vorher. Deutschland sei eben nicht zuständig.
Der neue Koalitionspartner FDP, der sich 2009 noch dafür aussprach, Obama bei der Schließung von Guantánamo zu helfen, hat seit Regierungsantritt noch keinen Handlungsbedarf erkannt. Die FDP-Menschenrechtspolitikerin Marina Schuster sagt, "es kommt auf die Einzelfallprüfung an" und dass es jedem Häftling ja freistehe, einen Asylantrag zu stellen.
Dass freilich die Aufnahmefrage auf Regierungsebene verhandelt wird und nicht bei einer der 20 deutschen Ausländerbehörden, wird am Beispiel sowohl Spaniens als auch der anderen sieben EU-Staaten (plus Schweiz), die Häftlinge aus humanitären Gründen aufgenommen haben, überdeutlich.
Weder das federführende Bundesinnenministerium noch das beratende Auswärtige Amt haben jedoch seit 2009 ihre Haltung geändert. Sie behaupten, es gebe ja auch keine aktuelle Anfrage der USA. Die US-Botschaft in Berlin wiederum erklärt: "Wir freuen uns auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft bei der Schließung von Guantánamo." Offiziell werden die USA natürlich aber erst anfragen, wenn aus Deutschland das Signal kommt, dass dies mit Erfolg gekrönt würde.
Der menschenrechtspolitische Sprecher der SPD, Christoph Strässer, sagt: "Ich verstehe die Zurückhaltung der Bundesregierung nicht." Der Bundestag solle nun versuchen, mit Häftlingen in Kontakt zu treten sowie mit Staaten, die Häftlinge aufgenommen haben, um deren Erfahrungen auszuwerten. "Es gibt überhaupt keinen Grund, die Diskussion in Deutschland für beendet zu erklären", so Strässer.
Laut Berichten von US-Medien unterteilt die US-Regierung die verbliebenen Häftlinge in den Lagern in drei Gruppen: knapp über hundert könnten freigelassen werden, davon die Hälfte grundsätzlich auch in ihre Heimatländer. Ungefähr 35 könnten vor Gerichten förmlich angeklagt werden. Die restlichen 50 aber könnten ohne Rechtsverfahren eingesperrt bleiben - für ungewisse Zeit.
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