Gruppenausstellung zur Mutterrolle: Die hochmoralisierte Brustwarze
Was ist eine „Bad Mother“? Schonungslos arbeiten sich elf Künstler:innen im Haus am Lützowplatz an den Erwartungshaltungen an Mütter ab.
Man kennt die Bildhauerin Louise Bourgeois und ihre ambivalente Auseinandersetzung mit der Figur der Mutter. Ihre berühmte „Maman“, jene langbeinige Spinne, steht mal als nur große, mal als erschreckend monumentale Plastik aus Stahl und Bronze weltweit in Häusern für zeitgenössische Kunst. Die Mutter, sie ist für Bourgeois das eklige und liebevolle Geschöpf zugleich. Es spinnt Netze, trägt Sorge, beschützt.
Bourgeois’ eigenwillige Metapher einer Spinne ist ähnlich zwiespältig wie der Titel einer Ausstellung im Haus am Lützowplatz. „The Bad Mother“, „Die schlechte Mutter“ heißt sie. Sie zeigt, unter welch moralischer Bedrängnis die Figur der Mutter heute stehen kann. Auch die 2010 im hohen Alter verstorbene Bourgeois ist darin vertreten. Ihr Beitrag ist unspektakulär und doch schonungslos wie so viele der hier versammelten Arbeiten von elf Künstler:innen, unter anderem von Malerin Katarina Jeneckova Walshe oder von Videokünstler Daniel Hopp.
Von Louise Bourgeois zu sehen ist eine mittelgroße Bleistiftzeichnung einer weiblichen Figur. Abgebildet mit breiten Hüften und großen Brüsten, schlingt sich ein propperes Baby um ihren Rücken, setzt zum Säugen an, während Milchtropfen wie naivlich geformte Kugeln von der Brust zum Boden fallen. Und der Kopf dieser belagerten Mutter, er ist gespalten in drei Silhouetten eines Gesichts. Wofür könnten diese Umrisse eines mütterlichen Gesichts stehen? Für die Liebende, die sich ihre Kinder wünschte? Für die Fürsorgende, die schon wegen ihrer biologischen Gegebenheiten gar keine andere Wahl hat, als Sorge zu tragen? Und was ist mit der Person, die diese Mutter auch außerhalb ihrer Mutterschaft ist?
Körperliche Selbstbestimmung
„The Bad Mother“: Haus am Lützowplatz. Mit Louise Bourgeois, Candice Breitz, Antje Engelmann, Sarah Ancelle Schönfeld, Eva Vuillemin u. a. Bis 11. Februar 2024
Jene Gespaltenheit von Bourgeois’ weiblicher Figur zwischen Selbstbestimmung und Pflicht zieht sich durch diese Ausstellung – und sie wird auch zur moralischen Frage. Sarah Ancelle Schönfeld zeigt etwa die fotografische Nahaufnahme einer chirurgischen Operation. Man kann darauf nicht ganz erkennen, ob da gerade ein Krebsgeschwür freigelegt oder eine Brustwarze von der Haut abgetrennt wurde und kurz vor der Entfernung steht, jenes unabdingliche kleine Organ, mit dem eine Mutter ihr Neugeborenes nährt. An dieser vermeintlichen Brustwarze aber kann sich eine gesellschaftlich hoch moralisierte Debatte auftun, nämlich ob das Recht einer Frau auf körperliche Selbstbestimmung oder auf die eigene Gesundheit vor dem Wohl des Kindes steht. Ob das Kindeswohl wirklich von der Brustwarze abhängt?
In dem Stop-Motion-Video des Duos Nathalie Djurberg & Hans Berg wird die Mutter nur noch zum biologischen Wirt. Sie, als Knetfigur mit Kugelbrüsten und wulstigen Lippen vom Duo typisch überzeichnet, liegt nackt auf dem Bett, während sich ihre drei Kinder peu à peu und offenbar unter geburtsartigen Schmerzen durch ihre Vagina in das Körperinnere zurückarbeiten. Irgendwann steht die schmerzzerrissene Mutterfigur auf, nunmehr als krakenhafter Zombie, aus dessen Bauch und Beinen die Extremitäten des eigenen Nachwuchses wuchern.
Das Video von Djuberg und Berg ist karikaturenhaft und witzig. Doch in der Ausstellung kommen vor allem die feinen, psychologischen Zweifel hervor, mit der Künstlerinnen über das Mutterdasein nachdenken. „Wofür brauchen wir verträumte Müttter“, fragt Niina Lehtonen dann auf einer Tuschezeichnung zum Porträt einer Dame. Die könnte mit ihrer geschwungenen Haarlocke und ihren langen Wimpern auch in einem Hausfrauen-Magazin der US-amerikanischen 1950er abgebildet sein, eine Zeit und Gesellschaft, in der feste Rollenzuschreibungen besser nicht hinterfragt werden sollten.
Candice Breitz hingegen hat für ihre Videoinstallation kurze Sequenzen von berühmten Auftritten von Müttern aus US-amerikanischen Spielfilmproduktionen vor einem schwarzen Hintergrund isoliert. Nun sieht man die gequälte Mimik von Meryl Streep etwa aus dem Scheidungsdrama „Kramer gegen Kramer“ von 1979. Der zweifelnde Blick, die zusammengepressten Lippen, immer wieder im Loop. Streep spielt darin eine Frau, die Mann und Sohn verlassen hatte, weil sie sich in der Ehe vernachlässigt fühlte. Obwohl sie im Film den Prozess um das Sorgerecht gewinnt, lässt sie das Kind doch beim Vater, aus Selbstlosigkeit. Ist sie etwa die schlechte Mutter?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge