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Grundeinkommen-Versuch in FinnlandEtwas mehr Geduld, bitte

Sozialforscher kritisieren die finnische Regierung für das Ende des Experiments zum Grundeinkommen. Das stelle das Forschungsergebnis infrage.

Verflogener Eifer: Finnland will das bedingunsglose Grundeinkommen nicht weiter erforschen Illustration: imago/Ikon Images

Stockholm taz | Das finnische Projekt Grundeinkommen läuft aus. Zwar war das Experiment von vornherein auf zwei Jahre bis Ende 2018 begrenzt worden. Beim Forschungsinstitut der Sozialversicherungsbehörde Kela, wo Kangas und sein Team verschiedene Modelle für einen solchen Versuch ausgearbeitet hatten, hatte man aber, wenn schon nicht auf eine unmittelbare Fortsetzung, so doch auf eine Perspektive gehofft, wie es danach weitergehen könnte. „Aber der Eifer der Regierung ist verflogen“, konstatierte Kangas nun gegenüber der britischen BBC. Dem Wunsch von Kela, zusätzliche Mittel bereitzustellen, habe die Regierung nicht entsprochen.

Aufgrund eines Wahlversprechens der rechtsliberalen Zentrumspartei von Ministerpräsident Juha Sipilä hatte die zusammen mit den Konservativen und den rechtspopulistischen „Wahren Finnen“ gebildete Regierungskoalition 2016 dem Parlament ein Gesetz über einen Grundeinkommensversuch vorgelegt. 2.000 nach dem Zufalls­prinzip ausgewählte Arbeitslose erhalten nun für zwei Jahre monatlich 560 Euro steuerfrei. Der Zweck des Versuchs ist herauszufinden, ob das Grundeinkommen einen positiven Beschäftigungseffekt hat. Konkret, ob die Versuchspersonen in höherem oder geringerem Maße eine neue Anstellung erhalten, als eine gleich große ebenfalls zufällig ausgewählte Kontrollgruppe, die weiterhin Sozialleistungen bezieht.

Nachdem internationale Medien die Interviewäußerungen von Kangas so missverstanden hatten, als ob die Regierung in Helsinki den Grundeinkommensversuch entgegen ursprünglicher Planungen nun auf zwei Jahre beschränken wolle, sah sich die Sozialversicherungsbehörde am Mittwoch veranlasst, in einer Presserklärung klarzustellen: „Der Versuch läuft wie geplant bis Ende 2018, aber nicht länger.“

Auch wenn es positiv sei, dass der Versuch überhaupt stattfinde, könnten seine Begrenzungen und die mangelhafte Vorbereitung „das experimentelle Design zerstören“, hatte Kangas in einem Interview mit dem finnischen Rundfunk schon im Januar die Regierung kritisiert und gefordert: „Wenn man wirklich wissen will, wie das Grundeinkommen funktioniert, muss man genügend Ressourcen bereitstellen.“ Eine Begrenzung auf zwei Jahre werde die TeilnehmerInnen nicht wirklich dazu veranlassen, grundlegende Weichenstellungen über ihr weiteres Leben zu treffen.

Andere Erfahrungen aus dem Ausland zeigten, „dass Veränderungen erst im zweiten und dritten Jahr beginnen“: „Dann wagen es die Teilnehmer nämlich, ihr Leben radikaler zu verändern als zuvor, zum Beispiel durch Ausbildung für einen neuen Beruf.“ Auch die Begrenzung auf 2.000 TeilnehmerInnen – die ForscherInnen hatten ursprünglich eine Versuchsgruppe von 10.000 Personen vorgeschlagen – stelle infrage, ob auf dieser beschränkten Basis ein wirklich signifikantes Resultat erzielt werden könne.

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6 Kommentare

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  • Da stelle ich mir zum einen die Frage, wie ein monatliches Grundeinkommen von 560€ in Finnland wirtschaftlich zu bewerten sind. Wie hoch sind die Lebenshaltungskosten in Finnland im Vergleich zu anderen EU-Staaten? Wurde zusätzlich die Miete übernommen? Mit anderen Worten: Reichen 560€ in Finnland zur Sicherung der Grundbedürfnisse und darüber hinaus zur gesellschaftlichen Teilhabe (Cafebesuche, Zeitungen, Bücher, Unternehmungen, Vereinsmitgliedschaften etc.)? Mir scheinen dafür 560€ monatlich zu knapp.

     

    Zum anderen würde ich auch die geringe Anzahl von 2000 Teilnehmern kritisieren, da ja der wichtigste Effekt des BGE erst entsteht, wenn es flächendeckend gezahlt wird. Das BGE senkt nämlich nicht nur die Arbeitslosigkeit, in dem es seinen Beziehern Ausbildungen oder Universitätsbesuche ermöglicht und sie somit besser für den Arbeitsmarkt qualifiziert, sondern indem es die Binnennachfrage durch Erwerbslose ankurbelt, was neue Arbeitsplätze schafft und dadurch die Arbeitslosenzahlen sinken liesse.

  • Nachtrag

    Teil II.

     

    Der „Grundeinkommen-Versuch“ zielt auf Abbau sozialer Leistungen!

    {...}

     

    Fazit: Der “Grundeinkommen-Versuch“ im Kapitalismus, ebenso die Ablenkungs-Diskussion über ein „bedingungsloses Grundeinkommen (bGe)“ - im Kapitalismus, dient vorrangig der differenzierten Minderung aller sozialen Leistungen und der weiteren Umverteilung der Reichtumsentwicklung nach ganz Oben. Zugleich ist er auch für die (kommende) kapitalistische Krise ein vorbeugendes Projekt, zur Stabilisierung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Eine massenpsychologische Aufgabe besteht auch darin, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft abhängige Erwerbsbevölkerungsmehrheit vom Versuch der Aneignung der Produktionsmittel abzuhalten, mit dem Ziel: Gemeineigentum an den gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsmitteln nachhaltig zu verhindern!

     

    PS.: Die „Grundeinkommen“-Diskutantinnen betätigen sich freiwillig, aber auch aus Illusionen, als Zuhälter der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Sie sind letztlich (illusionäre) Hilfswillige der Finanz- und Monopolbourgeoisie der imperialistischen Gesellschaftsformation.

  • Der „Grundeinkommen-Versuch“ zielt auf Abbau sozialer Leistungen!

     

    Notwendige Vorbemerkungen:

     

    Die quantitative und qualitative Wertschöpfung in den entwickelten kapitalistischen Industriemetropolen nimmt auch weiterhin zu. Demnach wäre auch eine weitere Erhöhung sozialer Leistungen für die große Mehrheit der erwerbstätigen Bevölkerung und ihrer Familien, Alleinerziehenden und Alten, Kinder und Jugendlichen, möglich. — So analog auch für die aus unterschiedlichen Gründen vom Erwerbsleben ausgeschlossenen [sei es durch körperliche und/oder psychische Behinderung und/bzw. Erwerbsminderung, fehlende Erwerbsbiographie und Altersvorsorge, u.a.m.].

     

    Die Reichtumsentwicklung in den kapitalistischen Wirtschafts- und Industriemetropolen könnte allen Menschen in der Gesellschaft einen auskömmlichen und sogar steigenden sozialen Wohlstand ermöglichen. Aber warum ist dem nicht so?

     

    Der Kapitalismus ist eine Gesellschaftsformation der sozioökonomischen Ungleichverteilung. Der Kapitalismus ist, so wie alle vorausgegangenen Gesellschaftsformationen, eine Klassengesellschaft. Die entscheidende materielle Grundlage des Kapitalismus ist das Privateigentum an Produktionsmitteln und damit die private Verfügungsgewalt über die Produktion von Waren und Gütern aller Art. Der entscheidende Hebel für die materielle Wert- und Mehrwertschöpfung in der Produktion von Waren ist zugleich die Verfügungsgewalt über die (dafür auch bezahlte) differenziert qualifizierte menschliche Arbeitskraft [von der Reinigungskraft, Facharbeiter, Meister, Abteilungsleiter, Konstruktions- und Produktionsleitung, Verwaltung, Verkauf und Vertrieb, Dienstleistung und Manager*innen/Vorstand, u.a.m.]

     

    Fazit: {...}

     

    Siehe Teil II.

  • Was soll man mit schlappen 560 Euro monatlich in Finnland?

    ...

  • Das Testdesign war vielleicht nicht optimal, aber an der Gruppengröße liegt es sicher nicht. Von 2000 Leuten (plus 2000 Kontrollgruppe) sollte man problemlos eine gute Aussage bekommen. Über die Dauer des Versuchs kann man streiten, wenn es stimmt, dass erst nach 3 Jahren Grundeinkommen (weil einem dann zu langweilig wird?) eine Ausbildung begonnen wird. Also müsste es mindestens 10 Jahre laufen, damit man sieht, ob die Ausbildung und der Beruf auch durchgehalten wurde. Und ja, es müsste mehr sein als 560 Euro, vielleicht 1000 Euro.

     

    Des Weiterenwird von den Befürwortern ja nicht nur ein bGE für Arbeitslose gefordert. Also muss man weitere Gruppen hinzunehmen. Leute mit gutem Einkommen, Jugendliche vor dem Schulabschluss und dann sehen, ob und welche Veränderungen sich ergeben. Dann kostet so ein Test, nur zum Testen, schon fast eine Mrd Euro.

    • @fly:

      Ist es nicht so, dass diese Arbeitslosen ohnehin Geld vom Staat bezogen hätten? In ähnlicher Höhe? Nur eben mit Bedingungen verknüpft. Was also kostet der Staat dieser Versuch, wenn er die Gruppen vergrößert? Fast nix, er könnte also noch mehr Geld, je nach Haushalt, in die Hand nehmen und da stimme ich Ihnen zu: Erst ab 1000Euro ist man -zumindest in Deutschland, vorallem in Bayern- so Grundversorgt, dass man sich nicht in unliebsamen Minijobs quält. Schade: Es wäre eine Überraschung, wenn die Studie unter den aktuellen Bedingungen positiv ausfiele.