Grüner verlässt seine Fraktion: „Karrieristinnen und Karrieristen“
Der Grünen-Abgeordnete Turgut Altuğ verlässt seine Fraktion und die Partei – mit scharfen Worten gegen die amtierende Fraktionsspitze.
Die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus ist seit Dienstagabend um einen Sitz geschrumpft, aber am Mittwoch gab es dazu von deren Vorstand nur einen dürren Satz: „Wir bedauern den Austritt von Dr. Turgut Altuğ sehr und sind ihm dankbar für seinen jahrzehntelangen Einsatz für die Berliner Bäume, den Verbraucherschutz und unser Stadtgrün“, teilten Bettina Jarasch und Werner Graf mit. Nachfragen nicht erwünscht.
So richtig wundernehmen kann das nicht, schließlich hatte der 60-jährige Altuğ Jaraschs und Grafs Gebaren als wichtigen Beweggrund in dem dreiseitigen Schreiben genannt, das er unter anderem über soziale Medien verbreitete. Gerichtet an die „Berlinerinnen und Berliner, Kreuzbergerinnen und Kreuzberger“, die „Zivilgesellschaft aus meinen Arbeitsbereichen und in meinem Wahlkreis“ sowie die „Mitglieder der Partei ‚Bündnis 90/Die Grünen‘“ erklärte er, die Fraktionsführung agiere „mit autoritärer Hand“, der Raum für offene Debatten habe sich verengt, es gebe „kaum Platz für Widerspruch oder Rückgrat“.
Altuğ spricht von „Karrieristinnen und Karrieristen“, die das Bild zunehmend prägten – ausdrücklich ausgenommen: die früheren Vorsitzenden Silke Gebel und Antje Kapek, bei denen er sich bedankt und die er als „Ökos im Herzen“ bezeichnet. Offensichtlich fand der bisherige Fraktionssprecher für Naturschutz, der seit 2011 im Parlament sitzt, dass seine Anliegen, zu denen auch Umweltbildung und Ernährung gehören, bei den Grünen immer weniger Raum einnahmen. Auch hier gibt es freilich eine Ausnahme: „Dass mir die Fraktionsspitze mein Herzensthema ‚Bäume‘ aus der Hand gerissen hat, weil es durch den sogenannten Volksentscheid Baum öffentlich an Bedeutung gewonnen hat, empfinde ich als Fachabgeordneter mehr als respektlos.“
Zu viel Nähe zu den Linken
Altuğ nennt noch einige andere Punkte, die ihn zum Austritt nicht nur aus der Fraktion, sondern auch der Partei bewegt haben – darunter die von ihm kritisierte Nähe der Grünen zu den Linken, welche einst zusammen mit der SPD landeseigene Immobilien zu Dumpingpreisen verkauft hätten, aber nun die Verstaatlichung von Wohnraum forderten und zudem „Antisemitismus in den eigenen Reihen kaum bekämpften“.
Auch eine Dominanz der „sogenannten Identitätspolitik“ beklagt der Ausgetretene, kritisiert aber umgehend die Tatsache, dass „eine feministische Partei einen Mann als Spitzenkandidaten nominiert“ – gemeint ist Fraktionschef Werner Graf, der im Herbst 2026 die Grünen in den Wahlkampf führen soll. Nicht alles scheint auf den ersten Blick zusammenzupassen, klären ließ es sich aber vorerst nicht – Altuğ war am Mittwoch weder telefonisch noch per Mail zu erreichen.
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