Grüner Kapitalismus nach der COP21: Auf der Welle reiten oder untergehen
Der Klimawandel ist ein Problem für die Finanzwelt. Die Herren des Geldes haben beschlossen, es zu lösen – auf ihre Art.
Da haben die 195 Regierungsdelegationen in den Messehallen von Le Bourget vor den Toren von Paris schon eine Woche voller aufgeregter Pressekonferenzen, vertraulicher Gespräche und feierlicher Erklärungen hinter sich. Bloomberg sitzt in dem Raum mit niedriger Decke, grauem Teppichboden und spärlicher Dekoration zusammen mit Mark Carney, dem Chef der altehrwürdigen Bank of England vor 500 Zuhörern in blauen Businessanzügen und bonbonfarbenen Kostümchen.
Der smarte Kanadier organisiert nebenher noch das „Financial Stability Board“, das im Auftrag der mächtigsten 20 Industriestaaten den nächsten Crash des Weltfinanzsystems verhindern soll. Carney hat im September davor gewarnt, Investitionen in fossile Energien seien ein finanzielles Risiko und sagt jetzt: Bei der Hypotheken-Krise nach 2008 „haben wir das systemische Risiko für das Finanzsystem unterschätzt. Das passiert uns nicht noch einmal.“
Carney hat Bloomberg gerade als neuen Chef seiner „Climate Disclosure Taskforce“ präsentiert. Eine gute Wahl. Kaum jemand sonst weiß so gut, welch mächtige Waffe Informationen im Finanzdschungel sind. Bloomberg ist mit seiner Finanzdienstfirma zum Milliardär geworden. Er ruft in den Saal: „Wenn diese Konferenz den Märkten erklären kann, warum sie sich bewegen sollen, werden sie das tun.“ Und Carney formuliert, welche Informationen die Investoren von den Firmen erwarten: „Welchen Weg habt ihr für eine Null-Kohlenstoff-Welt?“
Keine Nulllösung
Es ist in Paris viel um Nullen gegangen. An diesem Freitagmorgen sind es zwölf. „24 Billionen“, sagt Donald MacDonald und sieht sich im Raum um. „Ich schätze, hier ist Kapital von 24.000.000.000.000 Dollar vertreten.“ MacDonald, ein 66-jähriger Schotte mit Halbglatze und einem schweren Körper, ist Trustee des Pensionsfonds von British Telecom. Der verwaltet ein Vermögen von 40 Milliarden Pfund.
Und natürlich kennt MacDonald seine Kollegen von den anderen Pensionsfonds, die hier mit ihm dem Milliardär und dem Zentralbankchef lauschen. Sie denken ganz anders als die Leute, die an den Börsen zocken. „Für uns sind Anlagezeiten von 60 oder 70 Jahren interessant“, sagt der Mann in seinem schottischen Akzent. „Da ist das Thema Klimawandel wichtig.“
So geht es der ganzen Finanzbranche. Die Herren des Geldes haben entdeckt, dass der Klimawandel als riesiges Problem in ihren Büchern steht. Also haben sie beschlossen, das Problem zu lösen. Auf ihre Art. Noch nie ist das so deutlich geworden wie auf der Klimakonferenz von Paris.
Das Abkommen löst zwar das Klimaproblem nicht, aber es ist auch keine Nulllösung. Denn zum ersten Mal verpflichten sich alle Länder zum Klimaschutz und lassen sich auf etwas ein, was irgendwann einmal zu „Null Kohlenstoff“ führen wird. Das Pariser Abkommen könnte daher eine Dynamik auslösen, mit der die großen Geldströme der Welt umgelenkt werden.
Oder eine Flutwelle, wie es Mohamed Adow in Paris ausdrückte, Chef der Klimaabteilung der Hilfsorganisation Christian Aid:. „Die Botschaft, die wir an die Investoren und Wirtschaftsführer aussenden, ist: Entweder sie reiten auf der Welle von Paris, oder sie werden weggespült.“
Klimarisiken schaden der Reputation
Das klingt eindrucksvoll. Aber was die Finanzbranche vor allem versteht, ist die nüchterne Sprache der Zahlen und Bilanzen. Und dort hält – Schritt für Schritt – auch der thematisch große Bruder der Klimarisiken Einzug: die nachhaltige Entwicklung. Die Vereinten Nationen haben sich erst im September dieses Jahres neue Entwicklungsziele gesetzt, um Armut und Hunger zu bekämpfen. Ein Ziel: Umwelt- und Sozialstandards für die Industrie.
Werden die Ziele nicht berücksichtigt, kann bisweilen das ganze Unternehmen gefährdet sein – siehe VW. Die Frage, ob Unternehmen verantwortlich handeln, entscheidet mittlerweile über den Marktwert mit. „Das Wichtigste, das Unternehmen haben, um ihren Wert zu erhalten, ist Reputation“, so drückte es Unilever-Chef Paul Polman aus, als auf dem Weltklimagipfel einen Tag lang Wirtschaftsbosse ihre Reden schwingen durften. „Wenn Unternehmen die Erwartungen nicht erfüllen, sinkt ihr Marktwert dramatisch.“
Michael Bloomberg hat auch dazu etwas zu sagen – wie überhaupt zu so ziemlich allen Themen, die der begnadete Showman und Redner vor seinem Zuhörern im Presseraum 1 der Halle 3 anspricht: „Kein einziger Vorstand eines Unternehmens kann sich im Amt halten, wenn er den Klimawandel nicht ernst nimmt.“ Und er – der marktradikale US-Republikaner – lästert über Fox TV, den Haussender der Konservativen: „Bei deren Shows zum Klima tritt nie ein Konzernchef auf. Die wissen schon, warum.“
„Eine stille Revolution“
Wie heiß das Thema in der Finanzwelt gegessen wird, kommt mittlerweile auch bei denen an, die am entscheidenden Hebel sitzen. Der heißt: Zugang zu Kapital. Zudem geht es um die Frage, wie hoch die Zinsen sind. Die Ratingagentur Standard & Poor’s untersuchte erst im Oktober, was Umwelt- und Klimarisiken mit der Kreditwürdigkeit von Unternehmen machen.
Seit 2013 identifizierte die Agentur 56 Fälle, in denen es Abwertungen gab – meist aus der Öl- und Gasindustrie. Ein Unternehmen bekommt wegen besonders klimaschonender Antriebstechnik nun sogar Kapital zu günstigeren Konditionen. Übrigens hat Standard & Poor’s Volkswagen abgewertet – wegen des Abgasskandals.
„Gerade geschieht eine stille Revolution, weil Politik und Finanzmarktregulierung das Problem angehen, ein robustes und nachhaltiges Finanzsystem für das 21. Jahrhundert zu schaffen“, so schrieb es kürzlich das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, Unep. Auf Initiative der UN-Organisation hin haben im Oktober 100 Banken eine Initiative gestartet, um Geld mit Gutem zu verdienen – sie wollen Standards entwickeln, mit denen Investitionen in Klimaschutz und solche mit „positivem Einfluss“ bilanzierbar werden.
Bei nicht wenigen erzeugt es Unbehagen, dass sich der Bock zum Gärtner aufschwingt – ausgerechnet die Verursacher globaler Umwelt- und Klimaprobleme wollen nun ihre Profitgier so gestalten, dass es Gutes bewirkt?
Donald McDonald ist seit Jahrzehnten in der britischen Labour Party, aber antikapitalistische Gedanken kommen ihm bei seinem Job nicht. Ihm gehe es vor allem um „sichere Altersversorgung für unsere Leute“, sagt er. Dafür sucht er immer nach Investitionen, die sich lohnen – einstellige Renditen sind okay –, und nach solchen, die vor allem für Jahrzehnte sicher sind. Und das wird schwierig, wenn Firmen ihre Geschäftsfelder aufs Spiel setzen, weil sie etwa in Kohle, Gas oder Bergbau investieren.
Kurzfristig vs. langfristig
Paris ist für den Schotten die erste Klimakonferenz. Er findet es aufregend und ist eigentlich von den Politikern ganz angetan. „Die versuchen doch auch, ihren Job zu machen“. MacDonald lehnt an einem Stehtisch vor dem Plenum „La Seine“. Nebenan machen die Umweltverbände mit einer kleinen Demo einen infernalischen Lärm, es klingt wie im Fußballstadion. MacDonald deutet lächelnd auf die jungen Leute nebenan und schreit gegen den Lärm: „Früher haben wir noch Steine geworfen, die Polizei kam mit Tränengas.“
Heute kämpft er mit den Zahlen. Und ist ziemlich glücklich mit dem Abkommen, das in den Seitenräumen des Kongresszentrums gerade zusammengezimmert wird. „Je ehrgeiziger die Ziele, desto schneller fließt das Kapital in grüne Technologien. Und je langfristiger die Ziele, desto verlässlicher wird die Politik.“
Reines Gift, sagt er, sei vor ein paar Jahren die Entscheidung der spanischen Regierung gewesen, nachträglich die Einspeisetarife für Erneuerbare zu kappen. „Davon hat sich der Markt zwei oder drei Jahre nicht erholt.“
Der Erde droht der Hitzekollaps. Deshalb wollen die Staatschefs der Welt Anfang Dezember in Paris einen globalen Klimaschutz-Vertrag vereinbaren. Die taz berichtete vom 28. November bis zum 14. Dezember 2015 täglich auf vier Seiten in der Zeitung und hier auf taz.de.
Vom Pariser Abkommen solle ein „Signal an die Investoren“ ausgehen, rief auch die Chefin des UN-Klimasekretariats, Christiana Figueres, in den Saal, als das Abkommen stand. Ob das Finanzkapital die Welt rettet, ist nicht ausgemacht. Auch wenn viele Leute ihr Geld aus den dreckigen Energien abziehen – bisher gibt es immer noch Käufer dafür.
Was passiert, wenn durch weniger Nachfrage Kohle billiger wird und deshalb Staaten wie Vietnam oder Indien weiter auf die dreckige Energie setzen? Wenn die kurzfristige Orientierung an den Aktienmärkten die langfristigen Überlegungen der Pensionsfonds schlägt?
Nach dem Deal von Paris hoffen viele auf das Gegenteil. Die International Investors Group on Climate Change, die Pensionsfonds von mehr als 13 Billionen Dollar vertritt, meint, die Pariser Entscheidung werde „die Investitionen von fossilen zu grünen Techniken umschichten.“
Auch der deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber schwört auf die Kraft des „Divestment“. Und für Michael Bloomberg und Mark Carney ist die Antwort bei ihrem Abstecher zu den Klimaschützern klar: „Lasst die Märkte entscheiden!“ Regierungen, sagt Bloomberg noch, seien für Geschäftsideen „nur wichtig, wenn ihre Entscheidungen direkt das Geschäftsleben betreffen.“
Neun Tage nach dieser Aussage beschließen 195 Staaten, bis Mitte des Jahrhunderts aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen. Eine Entscheidung mit sehr vielen Nullen.
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