Grüner Finanzexperte über Krise: "Steuersenkung wäre unsinnig"
Der Grünen-Finanzexperte Schick warnt vor Maximalforderungen zur Bewältigung der Finanzkrise. Für die Fehlersuche müsse ein Untersuchungsausschuss her.
taz: Herr Schick, auf den Finanzcrash folgen gerade die Währungskrisen. Was kommt als Nächstes?
Gerhard Schick: Ein Konjunkturproblem, so viel ist klar. Momentan veranstalten die Autobauer den größten Lärm. Aber es kann sein, dass kleine Mittelständler noch viel stärker betroffen sein werden als die Autoindustrie.
Brauchen wir ein Konjunkturprogramm?
Ja. Wir sollten ein ökologisch-soziales Investitionsprogramm auflegen. Eine Steuersenkung wäre hingegen unsinnig, zumal diese vor allem die oberen Einkommensgruppen fördert.
CO2-Gebäudesanierung will auch die große Koalition. Wie viele Milliarden wollen Sie zusätzlich investieren?
Da sollte man nicht zu kurz springen. Denn durch die eingesparten Energiekosten wird zusätzliche Nachfrage im Inland möglich.
Die Grünen haben sich mit ihrer Kritik am Bankenrettungsplan zunächst vor allem darauf beschränkt, dass die Hilfen geheim bleiben sollten. Nun will das Statistische Bundesamt doch alle Abflüsse aus dem Staatshaushalt dokumentieren.
Aber ohne Transparenz können die Bürger nicht kontrollieren, was mit ihrem Geld passiert. Die Rettung der Hypo Real Estate hat deren Aktionären sofort eine halbe Milliarde Dollar Gewinn eingebracht - die deutschen Steuerzahler sehen davon nichts. Der Schweizer Staat dagegen hat für seine Rettung der UBS Anteilsscheine bekommen, die er später verkaufen kann. Außerdem haben wir früh darauf hingewiesen, dass die zentrale Schwäche des Rettungspakets die Freiwilligkeit ist. Eine Kreditklemme wird besser vermieden, wenn wie in Großbritannien den Banken eine Teilverstaatlichung aufgezwungen wird.
Na, und jetzt?
Wir brauchen einen Untersuchungsausschuss, um die Fehler aufzuarbeiten und die Verantwortlichkeit für die Krise zu ermitteln. Es ist ein Skandal, dass die FDP das verhindert - sie vertritt ausschließlich die Interessen der Banker. Klar ist zudem, dass wir eine europäische Finanzaufsicht brauchen. Es ist originell, dass die SPD das jetzt auch fordert - Finanzminister Peer Steinbrück hat noch in diesem Jahr alle Warnungen des Financial Stability Forum in den Wind geschlagen und sich einer gemeinsamen europäischen Aufsicht verweigert.
Aber die Grünen sind auch nicht unschuldig: Rot-Grün hat bis 2005 jährlich Gesetze zur Deregulierung des Finanzmarktes verabschiedet.
Wahr ist, dass Finanzmarktpolitik zu rot-grünen Zeiten kein Schwerpunkt grünen Regierungshandelns war. Aus der Verbraucherpolitik gab es aber schon damals wichtige grüne Impulse für den Finanzmarkt, etwa bei der Riesterrente oder die ökologische Berichtspflicht bei den Fonds. Die Beschlusslage der Partei mit ihrer Kritik an den unregulierten Finanzmärkten war immer weiter als das, was wir in der Regierung umsetzen konnten.
Rot-Grün hat zum Beispiel die Verbriefung von Krediten zu Wertpapieren und dadurch die Geschäfte mit Risiken gefördert. Wo war die grüne Kritik?
Wir dürfen jetzt nicht den Fehler machen, alles jenseits des Sparbuches zu verteufeln. Die zentrale Frage bei der Verbriefung ist: Bleibt ein Teil des Risikos bei dem, der den Kredit vergibt? Hier brauchen wir neue Standards. Die Gefahr ist, dass sich die Situation wie etwa nach der Asienkrise wiederholt: Es gibt ein Riesengeblubber mit vielen Maximalforderungen, und dann geht alles weiter wie bisher.
Ist eine internationale Regulierung vorstellbar? Wird es nicht immer eine Cayman-Insel für das Finanzkapital geben?
Mit einer US-Administration Obama gäbe es eine Chance auf Legitimation für neue Regeln unterm Dach der Vereinten Nationen. Es darf keinen USA- und EU-zentrierten Sonderclub mehr geben. Dann kann es auch gelingen, die Steuer- und Regulierungsoasen auszutrocknen.
Wird die Finanz- und Wirtschaftskrise nicht bald das ökologische Argument und damit die Grünen verdrängen?
Wir dürfen nicht zulassen, dass das drängendste gegen das wichtigste Problem, also die Finanzkrise gegen die Klimakrise ausgespielt wird. In Australien zum Beispiel wird als Antwort auf die Wirtschaftskrise die Infrastruktur für Elektroautos gefördert. Um zu verhindern, dass die Menschen Ökologie wieder unwichtig finden, müssen wir aber ihre Sorgen um den Arbeitsplatz, um ihre Geldanlagen ernst nehmen und Antworten darauf geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch