Grünen-Politikerin zu Friedensnobelpreis: Danke, Oslo!
Die ehemalige Generalsekretärin von Amnesty Deutschland lobt die Jury. Und sie würdigt die Trägerinnen des Friedensnobelpreises für ihren Mut und ihr Engagement.
Glückwunsch! Mit der Verleihung des Friedensnobelpreises an Ellen Johnson-Sirleaf, Leymah Gbowee und Tawakkul Karman hat das norwegische Komitee eine hervorragende Entscheidung getroffen.
Die beiden Liberianerinnen und die Jemenitin setzen sich mit ungeheurer Energie dafür ein, dass Frauen in Nachkriegsgesellschaften und in kriegsähnlichen Verhältnissen mehr Gehör finden. Und das unter völlig unterschiedlichen Voraussetzungen: Die eine ist ranghohe Politikerin, die zweite kämpft als Aktivistin für die Überwindung der Leiden, die der langjährige Krieg in ihrer Heimat hervorgerufen hat, die dritte mobilisiert in einem Land für Frauenrechte, in dem gerade jetzt die Waffen sprechen. Gemeinsam sind ihnen ihr Mut, ihre Klugheit und die Stärke, sich gegen die extrem gewalttätigen patriarchalen Verhältnisse in Liberia beziehungsweise Jemen aufzulehnen.
Wenige Wochen, nachdem die kenianische Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai mit 71 Jahren gestorben ist, hat das Osloer Komitee damit ein wichtiges Zeichen zur Unterstützung des Einsatzes von Frauen für Gleichberechtigung auf dem afrikanischen Kontinent gesetzt.
Die Liberianerin Johnson-Sirleaf ist nicht nur die erste Frau in Afrika, die durch eine Wahl zur Präsidentin wurde. Jahrelang musste sie im Exil leben. Den in ihrer Heimat tobenden Bürgerkrieg erlebte sie aus der Ferne. Mit ihrem Einsatz steht sie für eine Versöhnung der liberianischen Gesellschaft, die 14 Jahre lang unter dem Krieg gelitten hat. Sie hat sich dafür starkgemacht, dass Präsident Charles Taylor für seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bürgerkrieges von der internationalen Strafjustiz verfolgt wird - ein wichtiger Schritt gegen die Straflosigkeit.
Entscheidung von politischer Weitsicht
Dass sich das Komitee entschieden hat, neben einer Politikerin eine Vertreterin einer Nichtregierungsorganisation zu prämieren, zeugt von politischer Weitsicht. Mit der Liberianerin Laymah Gbowee erhält eine Frau den Preis, die ihre Erfahrung in der alltäglichen Praxis sammelte: als Streetworkerin mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen, als Aktivistin der ersten Stunde der Bewegung Women of Liberia Mass Action for Peace, und brachte Musliminnen und Christinnen zusammen. Später mobilisierte sie Frauen ihres Landes zu einem Sexstreik. Als Mitglied der Wahrheitskommission setzte auch sie sich für die Versöhnung im Land ein.
Ihre Suche nach gewaltfreien Wegen kann in Nachkriegsgesellschaften gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wer mit Frauen aus Liberia oder der DR Kongo spricht, erfährt, wie schwierig es ist, in einer vom Krieg traumatisierten Gesellschaft für die Rechte der weiblichen Bevölkerung zu kämpfen.
Im Menschenrechtsausschuss des Europäischen Parlaments hatten wir die Gelegenheit, Aktivistinnen aus diesen Regionen einzuladen. Die tägliche patriarchale Gewalt, die Straflosigkeit, die traditionell frauenfeindlichen Gesetze und nicht zuletzt die extreme Armut bestimmen das Leben. Ohne internationale Unterstützung, ohne entsprechende Öffentlichkeit, kommen Aktivistinnen wie Gbowee nur langsam voran. Nicht zuletzt deshalb ist die Verleihung des Friedensnobelpreises für die Betroffenen vor Ort von größter Bedeutung, ein Schutz für zahlreiche von Gewalt bedrohte Mädchen und Frauen.
Kampf gegen Sexismus
Während die beiden Liberianerinnen in einer Gesellschaft agieren, die offene militärische Auseinandersetzungen zunächst hinter sich gelassen hat, wird in der Heimat von Tawakkul Karman fast täglich geschossen. Es ist kein erklärter Krieg, und dennoch bekämpfen sich hier Islamisten, Rebellen, Separatisten und eine Regierung, die nicht allzu viel zu melden hat. Unter diesen Bedingungen organisiert die Muslimin Karman Demonstrationen gegen den Präsidenten Ali Abdullah Saleh und wurde dafür schon mehrmals verhaftet. Bereits 2006 gründete sie den Verein "Journalistinnen ohne Ketten", und noch bevor in Tunesien der erste Despot dem Arabischen Frühling zum Opfer fiel, mobilisierte sie Anfang des Jahres gegen Saleh.
Mit der Preisverleihung an Karman würdigte das Komitee also nicht nur eine Frau, die sich als Muslimin in einer extrem von Männern dominierten Gesellschaft für geschlechtliche Gleichberechtigung starkmacht. Die Jury setzt zugleich ein Zeichen, das auch mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen in Tunesien und anderen nordafrikanischen Staaten sehr wichtig ist: In den arabischen Revolten muss der Kampf um Frauenrechte und Emanzipation eine zentrale Rolle spielen, jede Regierung, die im Zuge der gesellschaftlichen Umwälzungen an die Macht kommt, muss sich dafür einsetzen, dass die patriarchalen Gewaltverhältnisse überwunden werden.
Frauen sollen als Politikerinnen oder Menschenrechtlerinnen aktiv beteiligt werden, um Kriege zu beenden, sie sollen besonderen Schutz in Nachkriegssituationen bekommen, ihr Einsatz für geschlechtliche Gleichberechtigung muss als Grundlage für jedes Bemühen um Versöhnung angesehen werden - genau diese Ziele sind in der UN-Sicherheitsratsresolution 1325 festgeschrieben, die vor elf Jahren beschlossen wurde. Jahrelang hatten sich zuvor Feministinnen und andere Aktivistinnen für diese Resolution eingesetzt.
Dass das Friedensnobelpreiskomitee nun Frauenrechtlerinnen prämiert, die mit ihrem Leben genau dafür stehen, ist auch eine große Anerkennung für all diejenigen, die sich zwischen Sanaa und Berlin, Monrovia und Peking, Istanbul und New York gegen sexualisierte Gewalt gegen Frauen sowie Kriegsverbrechen starkgemacht haben. Auch dafür: Vielen Dank nach Oslo!
Barbara Lochbihler ist Mitglied der Grünen und Vorsitzende des Menschenrechtsausschuss es des Europäischen Parlaments.
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