Grünen-Landesparteitag in Berlin: Lasst doch mal den Robert reden
Trotz Spitzenwerten in den Umfragen halten die Berliner Grünen den Ball flach. Prominenter Gastredner beim Parteitag am Samstag: Bundeschef Habeck.
Ob man sich denn bei den Grünen schon auf den Einzug ins Rote Rathaus vorbereite? Und mehr Macht in der rot-rot-grünen Koalition beanspruche? Diese Fragen müssen natürlich kommen in diesem Pressegespräch just an dem Morgen, an dem eine neue Umfrage den Grünen 24 Prozent zuschreibt – Platz 1 in Berlin.
Und ebenso natürlich muss Werner Graf, der wie seine Kollegin Nina Stahr am morgigen Samstag als Grünen-Landeschef wiedergewählt werden will, das sagen, was er schon immer gesagt hat: dass es nicht darum gehe, Umfragen zu gewinnen, und auch nicht darum, „wer in der Koalition gerade mal vorne liegt“. Die Botschaft kurz vor dem Landesparteitag ist klar: Jetzt bloß nicht abheben! 2013, als die Grünen letztmals 24 Prozent erreichten, waren sie schon fünf Monate später wieder auf 16 abgesackt.
Das Gesicht des Booms
Am Samstag soll beim Parteitag in der Kreuzberger Jerusalemkirche erstmals in diesem Rahmen der Mann reden, der das – von FDP-Seite als „cremig“ verspottete – Gesicht des jüngsten Booms ist, Bundesparteichef Robert Habeck. Wird er für einen neuen Anlauf einer Jamaika-Koalition im Bundestag mit CDU und FDP werben, die jetzt rechnerisch auch auf Berliner Landesebene möglich wäre? Von den Vorzügen dieses Bündnisses berichtete am Mittwoch Daniel Günther als Gast der CDU Tegel – jener Ministerpräsident, mit dem Habeck bis vor drei Monaten in Schleswig-Holstein zusammenarbeitete.
Schule und Stadtentwicklung sind die Themen der beiden großen Vorstandsanträge zum Parteitag, die Stahr und Graf an diesem Morgen vorstellen. Mehr Personal, mehr Sicherheit für Lehramtsstudienanfänger, WLAN in allen Klassenräumen einerseits, mehr Grün in der Stadt andererseits. Alles genauso wichtig wie unstrittig in der Partei – anders als das, was noch als Dringlichkeitsantrag auf die Tagesordnung für Samstag gerutscht ist: der künftige zusätzliche Feiertag für Berlin und mögliche Videoüberwachung.
In beiden Themen hat die SPD die Grünen unter Zugzwang gesetzt, für Samstag nachzulegen: Die Sozialdemokraten haben sich vergangenes Wochenende bei ihrem eigenen Landesparteitag zum einen auf den 8. März als neuen Feiertag verständigt, auf den zuvor schon die Linkspartei umgeschwenkt war, die lange den 8. Mai favorisierte. Der Frauentag an sich passt den Grünen zwar gut, Parteichefin Stahr hätte sich aber mehr Zeit für eine stadtweite Debatte gewünscht, am besten verbunden mit einer Umfrage.
SPD legt bei Videoüberwachung vor
Grünen-Landeschef Werner Graf
Zum anderen stimmten die SPD-Delegierten der Videoüberwachung kriminalitätsbelasteter Orte zu, solange sie „temporär und anlassbezogen“ ist. Ob „temporär“, also zeitweilig, einen Monat, ein halbes Jahr oder länger heißen kann, blieb dabei offen.
Werner Graf definiert den Begriff am Donnerstag so, dass eine temporäre Überwachung eines kriminalitätsbelasteten Ortes eben so lange dauert, bis der Ort nicht mehr kriminalitätsbelastet ist. Er weist den Eindruck zurück, dass die Grünen darin grundsätzlich Teufelszeug sehen. „Wir haben uns nie per se gegen Videoüberwachung ausgesprochen“, sagt Graf, man habe aber Zweifel, was das bringe. Wenn so etwas tatsächlich kommt, will er parallel die Wirkung untersuchen lassen.
Aktuell stuft die Polizei acht Orte in Berlin als kriminalitätsbelastet ein. Und wenn die SPD nun auf Videoüberwachung setzt, „soll sie es für den Koalitionsausschuss anmelden, dann können wir darüber reden“ – SPD-Parteitagsbeschlüsse seien für ihn nicht bindend, so Graf.
Im Grünen-Antrag zum Thema Sicherheit heißt es unter anderem: „Wir setzen auf eine gut ausgebildete und ausgestattete Polizei, die ihre Schwerpunkte und Gefahrenbereiche kennt.“ Statt Video sollen mehr Streifen und Präsenz weiterhelfen. Für Stahr ist allein das schon ein echter Schritt für ihre Partei: „Wir Grüne sind schon einen weiten Weg gegangen, dass wir jetzt sagen: Wir wollen mehr Polizei auf der Straße in Kreuzberg.“
Sie und Graf können jedenfalls davon ausgehen, am Samstag wiedergewählt zu werden: Zwei Tage vor dem Parteitag liegen keine Gegenkandidaturen vor. So sehr auch die Umfragewerte schwankten, konstant und deutlich rauf ging in ihrer Amtszeit die Mitgliederzahl: von 5.700 auf 7.000.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“