Grünen-Chefin im taz-Interview: „Links sein heißt antiimperialistisch sein“
Grünen-Chefin Franziska Brantner geht auch dieses Jahr nicht zum Ostermarsch. Ein Gespräch über Putin, Trump und die Friedenspolitik ihrer Partei.

taz: Frau Brantner, waren Sie schon mal auf einem Ostermarsch?
Franziska Brantner: Ja, das war beim Irakkrieg.
taz: Dieses Jahr gehen Sie wohl nicht hin?
Brantner: Nein.
Franziska Brantner war für die Grünen im Europäischen Parlament. Dem Bundestag gehört sie seit 2013 an. Sie ist seit Dezember 2021 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium und seit November 2024 Co-Vorsitzende ihrer Partei.
taz: Der Aufruf des Ostermarschs in Ihrem Wahlkreis Heidelberg spricht sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, Russland-Sanktionen und höhere Militärausgaben aus. Verbindet Sie noch irgendetwas mit den Gruppen, die da demonstrieren?
Brantner: Uns verbindet der Wunsch nach Frieden, unbedingt. Ich komme aus einer Grenzregion. Neuenburg am Rhein. Der Ort hat in der Geschichte sechsmal hin und her gewechselt zwischen Deutschland und Frankreich. Wir haben als Kinder auf der Panzerplatte gespielt und wussten, dass es mutige Menschen waren, die den Nachbarn als Freund und nicht Feind gesehen haben. Was mich an solchen Demo-Aufrufen stört: Links zu sein heißt für mich, antiimperialistisch zu sein, den Angegriffenen beizustehen und nicht den Aggressoren. Heute sind die imperialistischen Kräfte die von Putin, und auch Trump lässt mit seinen Aussagen zu Grönland solche Züge erkennen. Putin zerstört die europäische Friedensordnung, also die Regel, dass nationale Grenzen nicht mit Gewalt verändert werden dürfen. Wenn Putin sich damit durchsetzt, dann sind wir zurück in dunklen Zeiten unseres Kontinents. Deswegen ist verstärkter Schutz der Ukraine auch Friedenssicherung für uns in Europa.
taz: Die Grünen bezeichnen sich selbst weiterhin als Friedenspartei, große Teile der Bevölkerung nehmen ihnen das aber nicht mehr ab. Hätte die Partei schon in den vergangenen drei Jahren mehr über ihre Motive sprechen sollen und weniger über Leopard-Panzer und andere Waffensysteme?
Brantner: Es ging oft darum, was konkret getan werden muss – und dazu gehören nun einmal bestimmte Waffensysteme. Unser Motiv ist klar: Wir wollen eine Friedensordnung, in der das Recht über der Macht des Stärkeren steht. Frieden ist auch eine Haltung, Einstehen für das Völkerrecht, für Sicherheit durch Regeln, für Schutz vor Aggression. Unsere Friedensordnung ist keine Selbstverständlichkeit, sie muss geschützt, verteidigt und immer wieder erneuert werden. Sie steht aktuell auf dem Spiel. Das deutlich zu machen, halte ich für dringend notwendig. Es ist aber immer bitter, wenn Politik sich wieder gezwungen sieht, sich auf eine Kriegsbedrohung vorzubereiten, um den Frieden zu sichern.
taz: Nach den ersten Wochen mit Donald Trump als US-Präsident: Können Deutschland und Europa überhaupt noch etwas für die Ukraine bewirken?
Brantner: Trump behauptete, er schaffe innerhalb von 24 Stunden Frieden in der Ukraine. Aber schon die 24 Monate vorher mit zig Gesprächen, Gipfeln und Initiativen haben nicht gereicht, um Frieden zu erreichen. Vergangene Woche fuhr der neue US-Sondergesandte für Russland nach Moskau. Und was ist Russlands Antwort? Der Angriff auf Sumy, mit Dutzenden toten Zivilisten. In der Realität ist es eben nicht so einfach und die Frage ist daher, aus welcher Position die Ukraine verhandeln kann. Da hat Europa auch in Zukunft eine große Aufgabe, die Ukraine umfassend, auch militärisch, zu unterstützen und gleichzeitig diplomatische Initiativen zu ergreifen.
taz: Über die Ankündigung von Friedrich Merz, der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu liefern, haben Sie sich also gefreut?
Brantner: Zunächst mal wünschte ich mir, dass diese Debatte nicht nötig wäre, weil Putin die Ukraine in Frieden lässt. Abgesehen davon habe ich bisher keine geeinte Position der neuen Bundesregierung gehört. Ich bin gespannt, was daraus wird.
taz: Was erwarten Sie darüber hinaus von der kommenden Regierung?
Brantner: Nötig wäre jetzt ein massiver Schritt der weiteren europäischen Integration, eine europäische Verteidigungsunion, mit gemeinsamer Beschaffung und Investitionen in neue Technologien. Aber da ist leider Fehlanzeige bei dieser Koalition.
taz: Haben Sie Merz vor vier Wochen also zu viel Vertrauen geschenkt? Durch die Verfassungsänderung bei der Schuldenbremse haben Sie Schwarz-Rot einen Freifahrtschein gegeben. Rüstungskredite sind jetzt unbegrenzt möglich.
Brantner: Es war richtig, in diesen Zeiten die Änderungen der Schuldenbremse zu ermöglichen, und wir haben erreicht, endlich Verteidigung breiter zu definieren. Umso deutlicher appelliere ich an die nächste Regierung, es wirklich europäisch anzugehen. Wir müssen Synergien im Rüstungsbereich schaffen. Wenn wir jetzt einfach nur wieder amerikanisch einkaufen statt europäische Fähigkeiten voranzutreiben, dann ist all das Geld weniger wert.
taz: Nach einem Konsens in der Europäischen Union sieht es aktuell nicht aus.
Brantner: Wenn das nicht mit allen 27 Mitgliedsländern möglich ist, dann muss eine Allianz der Freiheit vorangehen. Wenn Orbán im Team Putin spielt, dann gehen stattdessen vielleicht Großbritannien oder Norwegen mit voran. Die europäische Integration hat immer so funktioniert. Beim Euro oder bei Schengen: Jedes Mal ist eine Gruppe vorangegangen. Wir Grüne wollen an Joschka Fischers Vision einer Europäischen Föderalen Republik anknüpfen und sie mit Leben füllen. Welche Ebene kann in Zukunft was am besten leisten? Was kann die Kommune, ein Land, der Bund besser als Europa oder andersrum? Sei es bei Energie, Innovation oder Wirtschaftssicherheit, nicht nur Verteidigung.
taz: Alleine schon in diesem Bereich ist es schwierig genug. Der Vorsatz, Rüstungsgüter gemeinschaftlich zu beschaffen, ist nicht neu – aber auch unter der grünen Regierungsbeteiligung gab es wenig Fortschritt. Woran lag es?
Brantner: Zum einen an wirtschaftlichen Interessen der Branchen in den einzelnen Staaten. Zum anderen wäre man sehr viel stärker aneinander gebunden. Man kann im Zweifel nicht mehr so einfach gegeneinander oder unabhängig voneinander Krieg führen. Für mich kein Nachteil, sondern ein folgerichtiger Schritt auf dem Weg zu einem souveränen Europa.
taz: Kommt jetzt die europäische Beschaffung und regiert in ein paar Jahren in Frankreich Le Pen, ist Deutschland verteidigungspolitisch wieder aufgeschmissen. Ist an diesem Einwand denn nichts dran?
Brantner: Wenn wir nicht beweisen, dass die Europäische Union handlungsfähig ist und unsere Freiheit und unseren Frieden schützen kann, dann werden die Nationalisten so oder so gewinnen. Also lieber mutig jetzt voran!
taz: Funktioniert die europäische Aufrüstung, besteht auf der anderen Seite die Gefahr, dass Russland nachzieht und es trotz großer Investitionen keinen Gewinn an Sicherheit gibt. Welche Möglichkeiten sehen Sie für Rüstungskontrolle als flankierende Maßnahme?
Brantner: Entschuldigen Sie, aber Putin hat massiv aufgerüstet und sein Land umgestellt auf Kriegswirtschaft. Natürlich bleiben Abrüstung und Rüstungskontrolle zentral. Sie sind Teil einer regelbasierten Weltordnung, für die wir einstehen. Die Perspektive einer atomwaffenfreien Welt ist übrigens ein weiterer Grund, die Ukraine zu verteidigen. Die Ukraine hat als bislang einziger Staat ihre Atomwaffen freiwillig abgegeben und dafür Sicherheitsgarantien für ihre Souveränität auch durch Russland bekommen. Wenn diese nichts wert sind, wird kein Land jemals mehr einen solchen Schritt gehen.
taz: Als Grünen-Vorstand haben Sie für die nächsten Monate angekündigt, inhaltliche Konflikte innerhalb der Partei zu diskutieren und zu Entscheidungen zu kommen. Wo sehen Sie solche Konflikte im Bereich Krieg und Frieden?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Brantner: Im Umgang mit Russland sind wir sehr geschlossen. Diskussionsbedarf haben wir etwa bei den Themen europäische Armee, Wehrpflicht oder Naher Osten, wo die Debatte in Deutschland sehr komplex ist. Hier gibt es immer weniger Räume für differenzierte Debatten. Genau so einen Raum wollen wir eröffnen.
taz: Wie wird das Format aussehen?
Brantner: Das erarbeiten wir gerade.
taz: Die Grüne Jugend kritisiert, dass die Partei die israelischen Völkerrechtsbrüche nicht klar genug angesprochen habe.
Brantner: Völkerrechtsbruch ist Völkerrechtsbruch, egal durch wen, und humanitäre Hilfe darf nie zur Verhandlungsmasse werden – da braucht es deutliche Worte, und die finden wir auch als Partei.
taz: Die Ampelregierung hat deutlich später kritische Worte gefunden als manch andere EU-Staaten.
Brantner: Es ist nicht überraschend, dass wir in Deutschland eine andere Position haben. Das ist angesichts unserer Geschichte auch weiterhin nötig. Und trotzdem hat Annalena Baerbock Kriegsverbrechen angesprochen und kritisiert.
taz: Viele Kritiker*innen hätten sich spürbare Maßnahmen wie ein Waffenembargo gewünscht.
Brantner: Wegen uns Grünen gab es die Bedingung, dass Israel zusichert, deutsche Waffen im Einklang mit dem Völkerrecht einzusetzen. Dafür gab es hier viel Kritik. Aber Menschenrechte müssen universell gelten. Es ist unsere Aufgabe, sie in alle Richtungen zu verteidigen, auch dort, wo es unbequem ist. Das gilt übrigens auch gegen jene, die nur noch kollektive Identitäten sehen.
taz: Bei der Bundestagswahl haben die Grünen viele Stimmen an die Linkspartei verloren, viele davon auch wegen des Gazakriegs. Können Sie diese Leute bei diesem Thema zurückholen?
Brantner: Ich führe Debatten, um gute Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Würde mir jemand sagen, ich wähle euch nur, wenn ihr das Existenzrecht Israels in Frage stellt, wäre meine klare Antwort: Dann halt nicht.
taz: Das Image der Grünen als Friedenspartei hat wohl auch deshalb gelitten, weil auch jenseits der großen Konflikte erkennbare friedenspolitische Erfolge fehlen. Das Rüstungsexportgesetz, das sich die Partei vorgenommen hatte, setzte sie in der Ampel zum Beispiel nicht durch. Haben Sie sonst etwas erreicht?
Brantner: Natürlich, wir haben Frauen und Mädchen weltweit gestärkt. Wir haben unglaublich viel internationale Zusammenarbeit ermöglicht, gerade im Klimaschutzbereich. Klimaschutz ist Krisenprävention. Wir haben ein internationales Abkommen zum Meeresnaturschutz erreicht. Für Rohstoffe darf jetzt nicht einfach Raubbau am Meeresboden betrieben werden – und wir wissen, dass ein Teil dieser Rohstoffe in die Rüstung gegangen wäre. Ich merke regelmäßig, wie wenig Menschen das bekannt ist. Hier müssen wir uns auch an die eigene Nase fassen.
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