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Grüne wählen grünen Bürgermeister abVon Dassel muss gehen

Das Bezirksparlament von Mitte entzieht Stephan von Dassel mit großer Mehrheit das Vertrauen – ein bislang einzigartiger Vorgang in Berlin.

Am Tiefpunkt der politischen Karriere: Stephan von Dassel, ehemaliger Bürgermeister von Berlin-Mitte Foto: dpa

Berlin taz | Der Bezirk Mitte braucht ei­ne*n neue Bürgermeister*in. Am Donnerstagabend hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) den grünen Amtsinhaber Stephan von Dassel mit 43 von 47 Stimmen in einer Sondersitzung abgewählt. Es gab keine Gegenstimmen. Auch die Grünenfraktion, die stärkste im eigentlich 55-köpfigen Bezirksparlament, unterstützte den Abwahlantrag, über den bereits in einer ersten Sondersitzung der BVV vor zwei Wochen diskutiert worden war.

Damals hatte sich eine deutliche Mehrheit für die Abwahl ausgesprochen, die von den Fraktionen von CDU und FDP beantragt worden waren. Das voraussichtliche Ende der politischen Karriere des 55-Jährigen im rund 385.000 Ein­woh­ne­r*in­nen zählenden Bezirk ist daher keine Überraschung – aber ein in Berlin bislang einzigartiger Vorgang.

Und der ging in Rekordzeit über die Bühne: Gerade mal neun Minuten dauerte die Sondersitzung. Zu deren Beginn forderte die CDU erneut die Abgeordneten auf, für die Abberufung zu stimmen – was die 47 anwesenden Bezirksabgeordneten ohne weitere Wortmeldung taten.

Von Dassel verfolgte die Sitzung mit ungerührter Miene. Nachdem das Ergebnis verkündet war, trat er ans Mikrophon: Er wünsche den verbleibenden fünf Stadträten viel „Fortune“; die Mitglieder der BVV forderte er auf, „gnädig zu sein mit den Stadträten, deren Entscheidungen oft kein leichtes Ja oder Nein zulassen“ würden. Der Applaus danach fiel verhalten aus.

Stephan von Dassel war seit 1999 Mitglied des Bezirksparlaments, 2016 wurde er als Bürgermeister gewählt und erst 2021 im Amt bestätigt. Ihm wird sein Verhalten in einem Verfahren zur Besetzung einer für ihn zentralen Stelle im Bezirksamt vorgeworfen. Von Dassel soll versucht haben, einen bei der Stellenbesetzung unterlegenen Bewerber mit Hilfe einer Geldzahlung davon abzubringen, gegen die Entscheidung zu klagen. Von Dassel bestreitet, dem Mann Geld angeboten zu haben; eine öffentlich gewordene SMS von ihm lässt sich aber so interpretieren. Darin spricht er von einer „privatrechtlichen Vereinbarung“.

Von Dassel wollte nach eigener Aussage einen außergerichtlichen Vergleich möglich machen, um einen langwierigen Rechtsstreit zu verhindern. Ihm sei es darum gegangen, die betreffende Stelle möglichst schnell zu besetzen. Das Rechtsamt hatte zuvor eine Entschädigungszahlung aus haushaltsrechtlichen Gründen abgelehnt.

Einen Rücktritt lehnte von Dassel mehrfach ab

Von sich aus zurücktreten wollte der Bezirksbürgermeister nicht. Sein Argument: Ein Rücktritt wäre eine Bestätigung der Vorwürfe, die so nicht wahr seien. Stattdessen hatte er von sich aus ein Diziplinarverfahren bei der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) beantragt; das Verfahren läuft bereits und wird auch nach seiner Abwahl fortgesetzt. Von Dassel hatte an die Fraktionen von Grünen und SPD appelliert, das Ergebnis dieses Verfahrens abzuwarten und solange von einer Abwahl abzusehen.

Doch selbst seine eigene Fraktion wollte da nicht mehr mitgehen. Von Dassels Verhalten widerspreche den „grünen Grundwerten“, hieß es in der Sondersitzung des Bezirksparlaments vor zwei Wochen. Die SPD wiederum sprach von einer „irreparablen Grenzüberschreitung“, die Linke von einem „irreparablen Schaden“.

Schon zuvor hatte von Dassel die Grünen im Bezirk mit seinen politischen Positionen immer wieder strapaziert. So hatte er unlängst ein nächtliches Alkoholverbot in Parks verhängt, um dortige Partyexzesse zu unterbinden – das Verbot ist vor kurzen vor Gericht gescheitert. Im Umgang mit Obdachlosen und Straßenprostitution vertrat er ebenfalls mehrfach Law-and-Order-Politik, die zumindest auf Unverständnis an der Basis und in der Fraktion stießen. So kamen von Dassels Fehler seinen Kri­ti­ke­r*in­nen zumindest nicht ungelegen.

Die SMS sei eine „Dummheit“ gewesen, so von Dassel

In der Debatte im Bezirksparlament damals hatte von Dassel diese Fehler auch selbst eingeräumt. Die SMS nannte er „in höchstem Maße missverständlich“ und eine „Dummheit“. Niemals hätte sie von einem Bezirksbürgermeister kommuniziert werden dürfen. Er habe damit das Vertrauen in seine Person und in das Amt des Bezirksbürgermeisters gefährdet und dem Ansehen der grünen Partei geschadet, was er bedaure.

Die Weigerung, zurück zu treten, dürfte auch finanzielle Gründe haben. In diesem Falle hätten dem 55-Jährigen weder ein Ruhegehalt noch andere Versorgungsbezüge zugestanden. Nach der Abwahl ist das anders. Dadurch wird von Dassel auch nicht aus dem Beamtenverhältnis entlassen, sondern in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

Seine Nachfolgerin könnte Stefanie Remlinger werden. Die langjährige grüne Bildungsexpertin im Abgeordnetenhaus ist seit 2021 Stadträtin für Bildung. „Wenn die grüne Basis es möchte, stehe ich zur Verfügung“, hatte die 51-Jährige der taz am Wochenende erklärt. Wann sie gegebenenfalls gewählt wird, ist unklar, eine formale Frist dafür gibt es nicht.

Von Dassels Aufgaben übernimmt vorübergehend der jetzige stellvertretende Bezirksbürgermeister Ephraim Gothe (SPD). Er dankte von Dassel am Ende der Sondersitzung für dessen langjährige Arbeit für die Menschen in Mitte. Er hinterlasse ein gut aufgestelltes Bezirksamt, auch in finanzieller Hinsicht. Von Dassel selbst hat seine politischen Ambitionen noch nicht aufgegeben. „Ich stehe weiterhin für jedes öffentliche Amt zur Verfügung“, sagte er der taz.

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3 Kommentare

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  • Ich freu´mich so!!!!!

  • Er musste wirklich zurücktreten, das ist richtig so. Das nächtliche Alkoholverbot fand ich aber angemessen in einer Stadt, wo immer wieder durch wahnsinnige Egoisten, die auch bis drei Uhr morgens durchzechen, den Menschen durch lärmende oder wummernde Musik der Schlaf geraubt und die Gesundheit beeinträchtigt wird.

    Von Dassel hatte einen eigenen Kopf und war durchsetzungsstark. Ich sehe in der Politik fast nur noch angepasste Abnicker und den Typus Jurist*. Wenn wir unbequeme Leute mit klaren Meinungen verlieren, die sich nicht an die letzte Mode unter Grünen anpassen, sagen wir eigentlich, dass Zivilcourage in der Politik nichts mehr zu suchen hat. Mit dem dazu gehörigen Streit, das versteht sich von selbst, denn die Obdachlosigkeit gilt es effektiv zu bekämpfen.

    • @Ataraxia:

      So ein ähnlicher charakterkopf ist Boris Palmer in Tübingen.

      Mag auch nicht jeder.