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Grüne über Atomwaffen in Deutschland„Wie aus dem Kalten Krieg“

Die Groko streitet über US-Atomwaffen, die in Deutschland stationiert sind. Auch die Grünen-Politikerin Agnieszka Brugger fordert deren Abzug.

Ein Tornado-Flugzeug in Grossenhain Foto: Tim Ziegenthaler/imago
Interview von Daniel Godeck

taz: Frau Brugger, SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat jüngst den Abzug aller US-Atomwaffen aus Deutschland gefordert – so wie es die Grünen schon lange tun. Er argumentiert, dass nukleare Teilhabe nicht zwangsläufig Atomwaffen auf dem eigenen Territorium bedeuten, und führt Kanada als Beispiel an. Wie ist die Lage in Deutschland?

Agnieszka Brugger: Die nukleare Teilhabe in der Nato bedeutet aktuell, dass US-Atomwaffen in Büchel stationiert sind und Pilotinnen und Piloten der Bundeswehr deren Abwurf üben, auch wenn das wie ein surreales Szenario aus dem Kalten Krieg wirkt. Daran nimmt die Bundesregierung teil und unterstützt so die gefährliche Entwicklung, dass weltweit Atomwaffenarsenale aufgerüstet werden. Von den Versprechen für Abrüstung und Rüstungskontrolle aus dem Koali­tionsvertrag ist dagegen von dieser Regierung einfach nichts zu hören gewesen.

Die Union nennt die nukleare Teilhabe „unverzichtbar“. Besteht die Angst, sich ins Abseits zu manövrieren?

Im Interview: Agnieszka Brugger

35, sitzt für die Grünen seit 2013 im Verteidigungsausschuss des Bundestags.

Auch andere Nato-Staaten sind bisher aus der nuklearen Teilhabe ausgestiegen, ohne aus den entscheidenden Zirkeln verbannt worden zu sein. Wer nur ängstlich auf die Meinung in der Nato schaut, ignoriert fahrlässig, welche weltweiten Risiken durch fehlende Abrüstung entstehen.

Der Streit zwischen Union und SPD entzündet sich auch an dem Vorhaben der Verteidigungsministerin, veraltete Bundeswehr-Tornados durch F-18-Kampfflugzeuge aus US-Produktion zu ersetzen. Dabei geht es um die Frage: Soll die Bundeswehr weiter Flugzeuge besitzen, die notfalls amerikanische Atomwaffen transportieren können? Wie lautet Ihre Antwort?

Es ist ein großes Versäumnis, dass das vor Jahren bestehende Zeitfenster für nukleare Abrüstung nicht genutzt wurde und sich Union und FDP vom parteiübergreifenden Konsens verabschiedet haben, dass die US-Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden sollten. Die Bundesregierung sollte die nukleare Teilhabe beenden, ganz egal welches Nachfolgemodell sie für die Tornados beschafft.

Mützenich begründet seine Forderung auch mit dem „Eskalationsrisiko“ durch US-Präsident Donald Trump. Dessen Nukleardoktrin sieht Atomwaffen nicht mehr nur als Abschreckung, sondern auch als Instrument für Vergeltungsschläge, etwa bei Cyberangriffen. Kann Deutschland im Fall der Fälle überhaupt sagen: Nein, unsere Kampfflugzeuge bleiben am Boden?

Theoretisch natürlich. Niemand bestreitet, dass die Atomwaffen keinen echten militärischen, sondern eher einen politischen und symbolischen Wert haben. Es geht ja aber darum, dass sich die Bundesregierung hinter den Atommächten versteckt. Ich konnte nichts von dem vielbeschworenen Einfluss der Atomwaffen-Fans sehen, als Donald Trump einen hochgefährlichen Strategiewechsel und die Aufkündigung des Iran-Abkommens gegen den Willen der europäischen Staaten vollzogen hat. Angesichts der aktuellen Aufrüstungsspirale steigt die Gefahr, dass die Bad Guys dieser Welt sich selbst Atomwaffen beschaffen.

Widerspruch kam erwartungsgemäß auch aus der Union: „Die SPD ist sicherheitspolitisch im Nirwana angekommen“, sagte etwa der CDU-Politiker Patrick Sensburg. Bleibt es – auch mit Blick auf 2021, wenn es vielleicht darum geht, eine mögliche schwarz-grüne Koalition auszuhandeln – bei Ihrem Nein zu F-18 und Atomwaffen?

Bei den Jamaika-Sondierungen hat es da ordentlich gekracht, da verrate ich, glaube ich, nicht zu viel. Wir Grüne werden diese Position nicht einfach räumen. Übrigens hat die Union ja 2010 einen Antrag zum Abzug der US-Atomwaffen unterzeichnet. Und zwar im Bundestag und nicht im Nirwana.

Trotzdem: Für die Grünen als Antiatomkraft- und als Friedenspartei ist das Thema nukleare Abrüstung sensibel. Befürchten Sie nicht, dass an solch einer Frage ein schwarz-grünes Projekt scheitern könnte?

Wir Grüne wollen eine Friedenspolitik, die den Namen verdient, und dazu gehören Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wir werden darum kämpfen und das ganz sicher nicht in vorauseilendem Gehorsam abschichten.

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5 Kommentare

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  • Wer lesen kann, ist eindeutig im Vorteil Herr Günther. "Wir Grüne werden diese Position nicht einfach räumen." Na, das ist doch eine typische SPD-Aussageform. Das heißt doch in Wirklichkeit: "Wir sind dagegen und räumen unsere Position, wenn es dafür einen Wertausgleich für uns gibt."

    Warum fällt es keinem auf, dass eigentlich die CDU/CSU gerade den Weg eines Franz-Josef Strauß (CSU), der damals deshalb gehen musste, weiter beschreitet?

    Als der Spiegel neben dem Manöver "Fallex 62" auch über den Starfighter F 104G berichtete, jenes Kampfflugzeug, welches mit einem Bombenrechner ausgestattet war, speziell für den Abwurf von Atombomben, da wurde der Chefredakteur inhaftiert und wütende Dementis seitens der Union erfolgten. Ferner wurde erklärt, dass die Bundeswehr nur Verteidigungszwecken diene und zum Dogma erhoben - von der Propagandaabteilung versteht sich.

    Heute halten es CDU/CSU/AfD/SPD/FDP-Politiker für selbstverständlich, dass jetzt auch Kernwaffen abgeworfen werden. Für die Grünen muss dann wohl offenkundig ein hoher Preis zur Zustimmung gezahlt werden.

    Der eklatante Mangel an naturwissenschaftlicher Allgemeinbildung im deutschen Volk bewirkt, dass sich nur die Wenigsten vorstellen können, wie eine Kernwaffenexplosion in der weiteren Entfernung vom Hypozentrum wirkt. Im Zentrum erübrigen sich sämtliche Überlegungen, da man dort sofort verdampft. Jedoch in weiterer Entfernung sind die Schäden aparter und schmerzhafter. Anscheinend liegen die Bombenangriffe auf Hamburg, Dresden, Kassel, Darmstadt und viele weitere Städte zu lange zurück. Dadurch mangelt es an Vorstellungskraft.

    Was aber wirklich vom Atomwaffenschirm zu halten ist, das hat sich ja 1983 gezeigt, als es den Fachkenntnissen und dem Verantwortungsgefühl eines sowjetischen Offiziers zu verdanken war, dass wir heute noch die taz lesen oder kommentieren können.

    "Unter einem Atomschirm am Abend..." könnte man einen alten Schlager umdichten.

    • @achterhoeker:

      "Heute halten es CDU/CSU/AfD/SPD/FDP-Politiker für selbstverständlich"

      Mit Verlaub, das ist doch Unsinn.

      Die FDP unter Westerwelle hat sich massiv, erheblich mehr als Rot-Grün, für einen Abzug der US Atombomben eingesetzt, stand sogar im Koalitionsvertrag.

      www.spiegel.de/pol...n-an-a-680122.html

      Im Parteiprogramm der SPD wird dies ebenfalls gefordert.

      "Wir treten ein für den Abzug sämtlicher Atomsprengköpfe, die auf deutschem Boden lagern. Wir bekräftigen unser Ziel einer atomwaffenfreien Welt und werben dafür, die Urananreicherung unter internationale Kontrolle zu stellen. Wir setzen uns dafür ein, eine internationale rechtsverbindliche Ächtung des Einsatzes von Atomwaffen durchzusetzen."

  • Ich sehe nicht so sehr die "Gefahr", dass man als BRD für das Militärbündnis viele viele Menschen mit Atomwaffen tötet. Und dann vielleicht ganz fürchterliche Gewissenbisse haben würde.



    Die Bomben müssen weg, weil sie im Zweifelsfall Primärziele sind!

    Sollen die Amerikaner doch ihre Silos in der Wüste haben, wenn da ICBMs einschlägt, hält sich der Schaden in Grenzen. In Mitteleuropa haben solche Waffen höchstens den Vorteil der "human shields". Wer diese Waffen effektiv angreifen will, muss Millionen töten dabei.

    Sprich: Die Entscheidung hat nichts mit Moral zu tun, sondern mit kühler Logik.

  • Atomwaffen in Deutschland bedeuten die theoretische Zugriffsmöglichkeit der Bundeswehr auf diese Waffen.

  • "Befürchten Sie nicht, dass an solch einer Frage ein schwarz-grünes Projekt scheitern könnte?"

    Verstehe ich da einfach die Ironie nicht oder ist das ernsthaft eine Befürchtung?

    Die Grünen waren von 1998 bis 2005 in der Bundesregierung, außer viel Gebabbel kam da nichts zur nuklearen Teilhabe und zu dem Zeitpunkt gab es keine ernsthafte konventionelle Bedrohung.

    Nur um Ihr Gedächtnis mal aufzufrischen, aus dem Spiegel 2005.

    "Einen stillen Rückzug hat Rot-Grün bei der Forderung nach Abzug aller amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland angetreten. Zwar hatte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) kürzlich angekündigt, das Thema solle in den zuständigen Nato-Gremien diskutiert werden; auch mit anderen europäischen Ländern, die US-Atombomben beherbergen, wolle man sprechen. Doch nun will Berlin das heikle Thema nicht auf die Tagesordnung der Nuklearen Planungsgruppe der Allianz setzen. Das Ministergremium, dem alle Nato-Staaten außer Frankreich angehören, wird am 9. Juni in Brüssel tagen. Auch Kontakte zu Stationierungsländern wie Italien oder Belgien unterblieben. Als Ausrede dienen die geplanten Neuwahlen. Tatsächlich wünscht Kanzler Gerhard Schröder keinen neuen Streit mit den USA. Er will, wie Außenminister Joschka Fischer und Struck, demnächst Washington besuchen."

    www.spiegel.de/spi...orab/a-358961.html

    Heldenhaft wie man sich damals für einen Abzug eingesetzt hat, als man wirklich auch praktisch etwas tun konnte, aber Ankündigungen haben ja aktuell wieder Hochkonjunktur bei den Grünen.

    #Wer wir sein könnten

    Aber mal schauen ob wir auch aktiv dafür was tun, das passte nur nicht mehr aufs Cover...