Grüne über Atomwaffen in Deutschland: „Wie aus dem Kalten Krieg“
Die Groko streitet über US-Atomwaffen, die in Deutschland stationiert sind. Auch die Grünen-Politikerin Agnieszka Brugger fordert deren Abzug.
taz: Frau Brugger, SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat jüngst den Abzug aller US-Atomwaffen aus Deutschland gefordert – so wie es die Grünen schon lange tun. Er argumentiert, dass nukleare Teilhabe nicht zwangsläufig Atomwaffen auf dem eigenen Territorium bedeuten, und führt Kanada als Beispiel an. Wie ist die Lage in Deutschland?
Agnieszka Brugger: Die nukleare Teilhabe in der Nato bedeutet aktuell, dass US-Atomwaffen in Büchel stationiert sind und Pilotinnen und Piloten der Bundeswehr deren Abwurf üben, auch wenn das wie ein surreales Szenario aus dem Kalten Krieg wirkt. Daran nimmt die Bundesregierung teil und unterstützt so die gefährliche Entwicklung, dass weltweit Atomwaffenarsenale aufgerüstet werden. Von den Versprechen für Abrüstung und Rüstungskontrolle aus dem Koalitionsvertrag ist dagegen von dieser Regierung einfach nichts zu hören gewesen.
Die Union nennt die nukleare Teilhabe „unverzichtbar“. Besteht die Angst, sich ins Abseits zu manövrieren?
35, sitzt für die Grünen seit 2013 im Verteidigungsausschuss des Bundestags.
Auch andere Nato-Staaten sind bisher aus der nuklearen Teilhabe ausgestiegen, ohne aus den entscheidenden Zirkeln verbannt worden zu sein. Wer nur ängstlich auf die Meinung in der Nato schaut, ignoriert fahrlässig, welche weltweiten Risiken durch fehlende Abrüstung entstehen.
Der Streit zwischen Union und SPD entzündet sich auch an dem Vorhaben der Verteidigungsministerin, veraltete Bundeswehr-Tornados durch F-18-Kampfflugzeuge aus US-Produktion zu ersetzen. Dabei geht es um die Frage: Soll die Bundeswehr weiter Flugzeuge besitzen, die notfalls amerikanische Atomwaffen transportieren können? Wie lautet Ihre Antwort?
Es ist ein großes Versäumnis, dass das vor Jahren bestehende Zeitfenster für nukleare Abrüstung nicht genutzt wurde und sich Union und FDP vom parteiübergreifenden Konsens verabschiedet haben, dass die US-Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden sollten. Die Bundesregierung sollte die nukleare Teilhabe beenden, ganz egal welches Nachfolgemodell sie für die Tornados beschafft.
Mützenich begründet seine Forderung auch mit dem „Eskalationsrisiko“ durch US-Präsident Donald Trump. Dessen Nukleardoktrin sieht Atomwaffen nicht mehr nur als Abschreckung, sondern auch als Instrument für Vergeltungsschläge, etwa bei Cyberangriffen. Kann Deutschland im Fall der Fälle überhaupt sagen: Nein, unsere Kampfflugzeuge bleiben am Boden?
Theoretisch natürlich. Niemand bestreitet, dass die Atomwaffen keinen echten militärischen, sondern eher einen politischen und symbolischen Wert haben. Es geht ja aber darum, dass sich die Bundesregierung hinter den Atommächten versteckt. Ich konnte nichts von dem vielbeschworenen Einfluss der Atomwaffen-Fans sehen, als Donald Trump einen hochgefährlichen Strategiewechsel und die Aufkündigung des Iran-Abkommens gegen den Willen der europäischen Staaten vollzogen hat. Angesichts der aktuellen Aufrüstungsspirale steigt die Gefahr, dass die Bad Guys dieser Welt sich selbst Atomwaffen beschaffen.
Widerspruch kam erwartungsgemäß auch aus der Union: „Die SPD ist sicherheitspolitisch im Nirwana angekommen“, sagte etwa der CDU-Politiker Patrick Sensburg. Bleibt es – auch mit Blick auf 2021, wenn es vielleicht darum geht, eine mögliche schwarz-grüne Koalition auszuhandeln – bei Ihrem Nein zu F-18 und Atomwaffen?
Bei den Jamaika-Sondierungen hat es da ordentlich gekracht, da verrate ich, glaube ich, nicht zu viel. Wir Grüne werden diese Position nicht einfach räumen. Übrigens hat die Union ja 2010 einen Antrag zum Abzug der US-Atomwaffen unterzeichnet. Und zwar im Bundestag und nicht im Nirwana.
Trotzdem: Für die Grünen als Antiatomkraft- und als Friedenspartei ist das Thema nukleare Abrüstung sensibel. Befürchten Sie nicht, dass an solch einer Frage ein schwarz-grünes Projekt scheitern könnte?
Wir Grüne wollen eine Friedenspolitik, die den Namen verdient, und dazu gehören Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wir werden darum kämpfen und das ganz sicher nicht in vorauseilendem Gehorsam abschichten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche