Grüne starten in dreitägige Konferenz: „Wir sind die neue Berlin-Partei“
Die grüne Spitzenkandidatin Bettina Jarasch nimmt in ihrer Rede Kurs auf das Rote Rathaus und stellt den Klimaschutz ins Zentrum ihrer Politik.
Die Konferenz findet größtenteils digital statt: Jaraschs Rede zum Auftakt kommt aus einem Hotelsaal in Mitte, in dem sich sonst nur wenige Dutzend Parteimitglieder inklusive Landesvorstand und Technikexperten aufhalten. Erst am Sonntag, bei der Wahl der Bundestagskandidaten, sollen die 155 Delegierten persönlich im Saal sitzen und direkt abstimmen. Der Zutritt soll dabei nur mit einem negativen Coronatest möglich sein.
In ihrer fast 20-minütigen Rede stellt sich Jarasch als Spitzenkandidatin dar, die in alle Kieze und Milieus der Stadt hinein horcht bis hin zu Kleingärtnern und Feuerwehrleuten. Was alle eine, mit denen sie in den vergangenen Woche gesprochen haben will, sei die Forderung nach einer modernen Verwaltung. Und alle würden nach der Vision ihrer Partei für Berlin fragen. „Alle wollen wissen, worauf sie sich einstellen können, wenn das Rote Rathaus grün wird“, sagt Jarasch.
Ihr Angebot: „Ich will Berlin zu einer krisenfesten Stadt machen.“ Für die Grünen gelte: „Veränderung gibt auch Halt.“ Berlin soll aus ihrer Sicht resilient werden – „gegen den Virus und gegen den Klimawandel“. Das soll klappen mit der von den Grünen parteiintern schon beschlossenen, aber im Senat jüngst gescheiterten konkreten Festlegung auf Jahreszahlen, wann keine Autos mehr mit Verbrennungsmotor in Berlin unterwegs sein dürfen: ab 2030 nicht mehr innerhalb des S-Bahn-Rings, spätestens 2035 in der ganzen Stadt nicht mehr.
Scharfe Kritik an SPD-Konkurrentin Giffey
Die politische Konkurrenz für die Abgeordnetenhauswahl spricht Jarasch zwei Mal an. Zum einen hält sie der in den jüngsten beiden Umfragen einmal knapp hinter, einmal vor den Grünen liegenden CDU vor, Klimavorstöße oftmals mit angeblicher Wirtschaftsfeindlichkeit abzuwehren. Diese Denke ist für Jarasch falsch, auch die Wirtschaft profitiert aus ihrer Sicht Verkehrsumbau und Klimaschutz.
Die schärfste Kritik in ihrer Rede übt sie am bisherigen Koalitionspartner, den Sozialdemokraten. „Von der SPD und ihrer Spitzenkandidatin habe ich auch noch nicht viel zum Klimaschutz gehört“, sagt Jarasch, ohne den Namen eben jener Spitzenkandidatin – Franziska Giffey – auszusprechen. Das überrasche sie aber eigentlich nicht, denn: „Ihr (Giffeys, d. taz) Programm ist ja auch mehr ein Rendezvous mit der Vergangenheit.“
Ein Stück gegen die SPD geht es auch, als sie mit Blick auf das Großthema Wohnen sagt: „Wer nur auf Neubau setzt, hat den Blick für die Realität verloren.“ Die soziale Frage werde im Bestand gelöst. Jarasch legt merklich Wert darauf, nicht als wirtschaftsfeindlich wahrgenommen zu werden: „Jedes Unternehmen braucht eine vernünftige Rendite, völlig klar“, gesteht sie Vermietern zu. Renditen über zehn Prozent aber empfindet sie als nicht vernünftig. Dem von der rot-rot-grünen Koalition vereinbarten Mietendeckel misst sie dabei große Bedeutung zu: „Wir werden ihn nicht auslaufen lassen, wir werde ihn weiter entwickeln“, verspricht sie.
„Wir kämpfen für die Menschen“
Jarasch beansprucht für ihre Partei, worauf bislang die SPD ein Monopol zu haben glaubte: „Wir sind die neue Berlin-Partei“, sagt sie und begründet das so: „Wir sind die, die überall gleichermaßen stark sind, im Osten wie im Westen.“ Das mit dem „gleichermaßen“ stimmt zwar so nicht ganz, weil die Grünen bei der jüngsten Wahl in Berlin, der Europawahl im Mai 2019, zwar in Kreuzberg über 40 Prozent der Stimmen bekamen, aber in Marzahn-Hellersdorf nur knapp über 13. Dort aber war auch die CDU kaum besser, die SPD sogar schwächer. In anderen Außenbezirken wie Zehlendorf oder Köpenick waren die Grünen sogar stärkste Partei.
„Wir kämpfen für die Menschen“, schließt Jarasch nach kaum 20 Minuten ihre Rede, begleitet vom Applaus der pandemiebedingt wenigen Grünen im Hotelsaal. Koalitionsoptionen erwähnt sie nicht. In einer Pressekonferenz am Dienstag hatte sie eine weitere Zusammenarbeit mit SPD und Linkspartei bevorzugt, allerdings unter grüner Führung. „Ausschließeritis“ in bezug auf andere Optionen sei aber wegen des Debakels nach der Landtagswahl in Thüringen nicht angesagt.
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